30.08.2019

Sturz ins Unbekannte, #2 – 2019

Carena Schlewitt im Gespräch mit Kornél Mundruczó

Kornél Mundruczó, einer der wichtigsten europäischen Theater- und Filmregisseure der Gegenwart, und sein Proton Theater zeigen ihre Dramatisierung des 2003 erschienenen Romans „Ljod. Das Eis“ von Vladimir Sorokin, der schonungslos wahnwitzige gesellschaftliche Strukturen und die verzweifelte Suche nach Orientierung offenbart. Die Adaption des Theatermachers Kornél Mundruczó sieht den Roman als eine Metapher für alle Ideologien, die gleichzeitig positiv und negativ sein können, je nachdem wer sie benutzt.

Carena Schlewitt: Warum hast du 2006 den Roman „Ljod. Das Eis“ von Vladimir Sorokin für das Theater adaptiert? Wie war damals die Situation in der ungarischen Gesellschaft?

Kornél Mundruczó: Als wir 2006 dieses Stück einstudierten, gab es in Ungarn große politische Veränderungen und Angst lag in der Luft. Damals hat der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány nur einen Monat nach den Wahlen in seiner „Őszöd-Rede“ zugegeben, dass die Sozialistische Partei die Wähler irregeführt habe. Obwohl der Kongress, auf dem er sprach, nicht öffentlich war, war seine Rede durchgesickert und es folgten Massenproteste. Der Vorfall und seine Folgen werden als ein wichtiger Wendepunkt in der postsozialistischen Geschichte Ungarns angesehen. Der wichtigste Satz in „Ljod. Das Eis“ ist: „Hab keine Angst!“ Bei der Arbeit an diesem Roman hatte ich das Gefühl, die Vergangenheit klarer zu verstehen, aber auch den Wunsch nach einem Wendepunkt und einer besseren Zukunft. All dies geschah von einer Position aus, in der wir uns auf den Ruinen der postsowjetischen Welt befanden. Sorokins „Eis“ ist ein wesentliches Material. Es bedeutet, dass alle Ideologien gleichzeitig positiv und negativ sein können, je nachdem, wer sie benutzt und wer sie besitzt. Dies ist eine perfekte Metapher für alle politischen Flügel, aber auch für jede Religion und ihr Funktionieren. Es ist eine Metapher wie in Richard Wagners Ring.

Wie ist Ungarns Verhältnis zur russischen Kunst oder historisch gesehen zur sowjetischen Kunst?

In der sozialistischen Zeit war das Verhältnis sehr aktiv, und es ist auch heute wieder aktiv. Dazwischen gab es eine Pause von etwa 20 Jahren. Am einfachsten ist es, sich die ungarische Kultur als eine Fähre vorzustellen, die zwischen der deutschen und der russischen Kultur hin und her fährt. Apropos russischer Einfluss: Bulgakow, Dostojewski, Majakowski in der Literatur, Tarkowski, Aleksei German, Eisenstein im Film und viele andere sind für uns wichtige Künstler und große Inspirationen. Ich könnte auch Fernseh- und Kinderfilme erwähnen, die ich bis zu meinem 14. Lebensjahr gesehen habe. Heute hat Russland wieder einen größeren Einfluss auf uns, auch in der offiziellen Kommunikation und in den Medien, was ein Retro-Feeling vermittelt und bestätigt, dass sich die Geschichte ständig wiederholt.

Wie siehst du die Inszenierung heute und wie reagiert das Publikum in Budapest darauf?

Ich würde das Genre von „Das Eis“ als Paranoia-Thriller bezeichnen. Mit einer Geheimgesellschaft von 23.000 Personen, die über den Rest der Welt regieren, ist es ein absolut aktuelles und zeitgemäßes Thema. Einige Bilder in den Medien wirken heute so, als ob man konkrete Szenen von „Das Eis“ sehen würde. Heutzutage herrschen Paranoia, Populismus und Manipulation, aber wir sollten keine Angst haben und uns nicht davon einschüchtern lassen. Deshalb haben wir auch „Das Eis“ in unserem Repertoire behalten, wir spielen das Stück nach 13 Jahren fast mit der Originalbesetzung. Die Produktion gilt in Budapest mittlerweile als legendär. Sie hat ihr eigenes Publikum, ihre Fans und es gelingt ihr, eine junge Generation zu interessieren.

Worin unterscheiden sich für dich die Kunstformen Film, Theater und Performance in deiner Arbeit?

Ich sehe mich hauptsächlich als Filmemacher und Geschichtenerzähler. In Filmen ist es sehr verbreitet, neue Geschichten zu erzählen. Im Theater nimmt man lieber große klassische Werke und interpretiert sie neu. Aber so arbeite ich nicht und deshalb musste ich meinen eigenen Weg zum Theater finden, der mit meiner unabhängigen Company, dem Proton Theatre, eine fortlaufende Reise ist.

Wie ist dein künstlerischer Ansatz für deine Theaterarbeit in Bezug auf „Realität“ und „politisches Theater“?

In meinen Arbeiten gefällt mir die Geste des Zeigens, als Grundlage meiner Darstellung möchte ich Debatten anstoßen, die das Denken der Zuschauer anregen, allerdings nicht mit den bekannten ideologischen Belastungen, Traditionen und Hysterien. Die Darstellung muss immer eine Reaktion hervorrufen, indem sie den Betrachter seines Komfortbedürfnisses beraubt und ihn mit der Frage konfrontiert: Was bestimmt mein Leben? Darauf sollte der Zuschauer eine Antwort geben. Deshalb glaube ich nicht wirklich an „Zeitstücke“ oder den Agitprop-Gedanken des politischen Theaters, da beide kontraproduktiv sind. In unserer Arbeit mit dem Proton Theatre wollen wir uns nicht an die oben genannten Stereotype halten, und wir akzeptieren die Tatsache, dass wir damit außerhalb des Mainstreams liegen. Ein Kunstwerk ist bestenfalls ein Hindernis, das mich stolpern lässt, etwas, das ich nicht überschreiten kann, dann mobilisiert es mich. Und es hat eine stärkere mobilisierende Kraft, wenn die Schöpfung als Objekt vor mir steht, wie ein Monolith oder ein unvermeidliches, unverwüstliches und unbehagliches Material, dessen Leere der Betrachter füllen muss. Es ist ein Sturz ins Unbekannte.

30.08.2019

Wir sind schürfen gegangen, #2 – 2019

Ein Gespräch von Claus Löser mit Thomas Heise über deinen Film „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ Thomas Heise, Dokumentarfilmer, Autor und Theaterregisseur, folgt in seinem jüngsten Film „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ den biografischen Spu – ren einer zerrissenen Familie, seiner Familie, über das ausgehende 19. und das folgende 20. Jahrhundert hinweg. Entstanden ist eine Collage aus Bildern, Tönen, Briefen, Tagebüchern, Notizen, Geräuschen, Stimmen, Fragmenten. Die Weltpremiere fand bei der Berlinale 2019 statt. Claus Löser: Dein Film umfasst mehr als hundert Jahre Geschichte, geht dabei von Familiengeschichte aus. Auf welche Weise hast du dich an das Material herangetastet? Gab es ein Familienarchiv? Thomas Heise: Nein, es gab kein Archiv. Das hat sich alles Stück für Stück vervollständigt. Schon für meinen Film VATERLAND (2002) habe ich Briefe meines Vaters aus dem Arbeitslager Zerbst benutzt. Die hatte ich nach dem Tod meiner Großmutter an mich genommen, faktisch unter der Kommode hervorgezerrt. Da war ich erst 12 oder 13 Jahre alt. Seitdem lagen diese Briefe bei mir. Ich hatte die erst einmal nur weggepackt, ohne sie zu lesen. Das kam alles erst viel später. Ähnlich war es dann 1987, als mein Vater verstarb. Gab es Momente, in denen du Angst hattest, dass das Material dich beherrschen könnte und nicht umgekehrt? Nein, niemals. Es handelte sich um eine Entdeckung. Zunächst hatte das alles noch gar nicht so viel mit Recherche zu tun. Das lief erst einmal ziemlich stur ab, ohne Nachdenken: sauber kopieren und ablegen. Sehr wichtig war mir dabei auch, dass immer wieder banale Details zwischen den bedeutungsschweren Dokumenten auftauchen. Dann werden die Zusammenhänge deutlich, auch die Dinge, die im Hintergrund laufen. Wir sind vorgegangen wie in einem Bergwerk, wir sind schürfen gegangen. Und die gefundenen Scherben haben wir dann collagiert oder in eine neue Form gebracht. Das archäologische Verfahren – aus Scherben etwas zusammenzusetzen – wird bei dir also zur ästhetischen Methode? Ja, denn es handelt sich ja nicht um ein wissenschaftliches Vorgehen, sondern um ein künstlerisches, und das heißt, dass es sprunghaft verläuft und damit mehr Möglichkeiten zulässt. Und dann kann ich darüber fabulieren. Es ist für die Zuschauer*innen nicht immer ganz einfach, die familiären Zusammenhänge zu begreifen. Es ist aber auch gar nicht nötig, diesen Zusammenhängen eins zu eins zu folgen. Darum geht es ja gar nicht. Im Grunde tue ich so, als läge das alles jetzt schon 2000 Jahre zurück. Und man kennt einfach die Zusammenhänge nicht mehr, wie das damals alles war. Dein Film scheint mir insgesamt auch ein Film der Bewegungen zu sein. Es gibt einerseits konkrete Bewegungen, mit den Zugfahrten zum Beispiel. Zum anderen gibt es ortsungebundene Reisen: durch innere Zustände, durch Biografien und durch historische Situationen. Die Aufnahmen aus Wien reduzieren sich auf eine Straßenbahnfahrt, von innen nach außen gefilmt. Diese Fahrt in der Straßenbahn beruht auf einer filmischen Erfahrung, die ich in NEUSTADT (2000) gesammelt habe. Schon damals in Halle habe ich nicht so richtig gewusst, was ich in dieser Stadt eigentlich drehen soll. Und während der Straßenbahnfahrt ergab sich plötzlich ein völlig anderer Raum, durch den ich die Stadt dann doch auf neue Weise erzählen konnte. Wir haben jetzt in Wien wie damals in Halle einfach die längste Linie durch die Stadt ausgewählt und haben diese Aufnahmen gemacht. Von Wien aus fuhren dann 1941/42 auch die Züge in die Vernichtungslager. Dazu wurde in Österreich eine vorbildliche Forschungsarbeit geleistet, z. B. am Erich Boltzmann Institut. Man kann heute genau sagen, wie viele Leute in welchen Waggons saßen. Wie wenige überlebten. Die Umzüge der Familie in Wien lassen sich zum Beispiel anhand der Unterlagen der Meldeämter ganz genau nachvollziehen. Die mussten ja immerzu umziehen, in immer kleinere Wohnungen. Das wäre auch im Film mit den Schauplätzen darstellbar gewesen, aber das wäre ein ganz anderer Film geworden. Ich habe mich dann entschlossen, dieses Kapitel allein über die Briefe und die Listen zu erzählen. An dieser Stelle war für mich zunächst auch die Frage wichtig, wie lange man das durchhalten kann. Diese Szene wurde immer länger, zuletzt waren es über zwanzig Minuten. Mehrfach tauchen in deinem Film Bahnhöfe auf. Die ursprüngliche Idee war, überhaupt nur mit Bahnhöfen zu arbeiten; in Berlin am Ostkreuz zum Beispiel. Für Wien hieß das, am Praterstern zu drehen, in dessen Nähe der später abgerissene, berühmte Nordbahnhof gestanden hatte. Hier kamen Ende des 19. Jahrhunderts viele Juden aus Galizien und der Bukowina an, von hier aus flohen sie 1938 und von hier wurden ab 1943 die meisten der jüdischen Menschen Richtung Osten deportiert, um sie zu ermorden. Diese Orte habe ich mir angeschaut. Aber bald habe ich festgestellt, dass man „die Eisenbahn“ eigentlich nicht mehr erzählen kann. Weil das metaphorisch überbesetzt ist? Man denkt ja automatisch an die Deportationen. Nein, nicht weil es überbesetzt ist, sondern weil inzwischen die Sinnlichkeit fehlt. Die Schienenstöße gibt es nicht mehr, den Dampf gibt es nicht mehr. Alles, was sinnliche Erfahrung wäre, ist verschwunden. Alles summt nur noch. Hast du deshalb auch die gegenwärtigen Szenen fast durchweg in Schwarzweiß gedreht? Alle Dokumente sind farbig, die anderen Aufnahmen sind in Schwarzweiß. Ich liebe Schwarzweiß. Es schafft klare Bilder. Gekürzte Fassung eines Interviews des Filmhistorikers Claus Löser, das im Januar 2019 anlässlich der Uraufführung des Films im Rahmen des Berlinale Forums stattfand.

30.08.2019

Ich bin der rote Faden, #2 – 2019

Ursula Sax im Interview mit Cornelie Kunkat, Referentin für Frauen in Kultur & Medien beim Deutschen Kulturrat Die Bildhauerin Ursula Sax (1935) nahm bereits mit 15 Jahren ihr Studium an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Stuttgart auf. Mit 21 Jahren bekam sie ihren ersten öffentlichen Auftrag. Es folgen viele erfolgreiche Wettbewerbe, insbesondere auf Architektur und Stadtraum bezogene Arbeiten aus Metall, Holz und Stein für öffentliche Gebäude und Plätze im gesamten Bundesgebiet. Ihre wohl bekannteste Arbeit ist der große, gelbe Looping, der 1992 zwischen AVUS und Berliner Messegelände realisiert wurde. In HELLERAU zeigt sie beim Festival „Appia Stage Reloaded“ das Geometrische Ballett als Hommage an Oskar Schlemmer. Ich muss mit einem Kompliment starten: Sie sehen unheimlich frisch aus, und Ihr Alter, 83, sieht man Ihnen definitiv nicht an. Natürlich wissen Sie, was es bedeutet, älter zu werden. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass Sie alt sind. Naja, ich merke natürlich, dass ich alt bin, rein körperlich. Beim Einkaufen oder beim Gehen auf der Straße, da bin ich nicht mehr so flott. Aber ich fühle mich auch öfter alterslos, jetzt zum Beispiel. Dann vergesse ich einfach, wie alt ich bin. Und als Künstlerin, haben Sie da das Gefühl, dass Sie jetzt anders an Ihre Arbeit herangehen? Ja, gelassener. Ich setze mich nicht mehr unter Druck. Ich muss mir ja auch nichts mehr beweisen. Ich hätte nie »gemusst«, aber das ist die Freiheit bei den freien Künstlern, dass es Disziplin braucht, Tag für Tag. Ich war mein eigener Auftraggeber und als solcher war ich oft gnadenlos. Das bin ich heute nicht mehr. Seit wann haben Sie diese größere Gelassenheit? Schon ziemlich lange. Mindest seit ich mein schönes Atelier in Radebeul aufgegeben habe und nach Berlin zurückgekommen bin, also vor sechs Jahren. Damit nahm der Druck allmählich ab. Kommen wir einmal auf den ungewöhnlichen Anfang Ihrer Karriere zu sprechen. Mit 15 haben Sie bereits Ihr Studium aufgenommen. Wie kam es dazu? Mein Vater war Volksschullehrer in einem Dorf in Württemberg. Er war hochgebildet, weil er die ganze Kriegszeit über studiert hat. Wegen eines steifen Beins musste er nicht in den Krieg. Als dieser zu Ende war, wurde er wieder Volksschullehrer in unserem Dorf.Da hat er unverschämter Weise bestimmt, dass ich zu ihm in die Volksschule gehen musste und nicht, wie meine älteren Schwestern, in die Oberschule in die nächste Stadt. Unter dieser Entscheidung habe ich zunächst sehr gelitten, mich dann aber angepasst und nachmittags mit ihm auf den Feldern gezeichnet, das Dorf, die Bäume, die Familienmitglieder und was weiß ich. Schließlich kam die Frage auf: Was wird aus Ursula? Zufällig gab es einen Berliner Maler, der im Dorf evakuiert war und der plötzlich auch auf den Wiesen saß und malte – aber mit Öl und Staffelei. Mit ihm habe ich mich angefreundet. Er berichtete dann von einer Übergangsschule in Stuttgart, der Steinbeis Gewerbeschule für Kunsthandwerker. Dort fuhr ich schließlich ein Jahr lang einmal die Woche hin. Der Lehrer war sehr angetan von mir und gab mir Aufgaben für die Woche. Später besuchte ich einen Aktzeichenkurs. Auch der dortige Lehrer sagte: »Sie sind sehr talentiert. Mein Schwiegervater ist Professor an der Kunstakademie. Zeigen Sie dem doch mal Ihre Zeichnungen.« Mangels Telefon fuhr ich ohne Vorankündigung einfach an die Akademie. Der besagte Professor war auf Exkursion, aber einem anderem, der die Bildhauer-Vorklasse leitete, zeigte ich meine Arbeiten und er sagte: »Ja, ich nehme Sie für ein Semester als Gast. Und danach zeigen wir den Kollegen Ihre Arbeiten. Wenn die einverstanden sind, nehmen wir Sie auf.« Das war eine große Ausnahme, schließlich war ich erst 14. Wie kam es dann zum Studienfach Bildhauerei anstelle der Malerei? Ja, eigentlich hatte ich Malerei studieren wollte, denn ich kannte die Bildhauerei ja gar nicht. Alle Menschen haben Bilder an den Wänden, Malerei, das kennt man, doch Skulpturen hat man nicht in der Wohnung. Doch kurz zuvor war ich mit meinem Vater in der Stuttgarter Staatsgalerie gewesen. Die dortige Lehmbruck-Ausstellung hinterließ einen tiefen Eindruck auf mich: Da standen lebensgroße Figuren, Bronzefrauen, um die man herumgehen konnte. Ich war hingerissen, deshalb entschied ich mich ganz spontan für die Bildhauerei. Im Studium waren Sie dann sicherlich immer die Jüngste? Ja, ich war viele Jahre lang überall die Jüngste. Wie viele Frauen waren zu der Zeit mit Ihnen im Studium? Viele. Aber die kamen nicht weit, denn viele heirateten ziemlich schnell einen Kollegen und wurden Mütter. Gleichzeitig betonten die Männer ständig, dass Frauen in der Bildhauerei eh nichts verloren hätten, auch wenn es wunderbar sei, sie als Kommilitoninnen zu haben. Stand für Sie von Anfang an fest, dass Sie nicht heiraten wollen? Ich wollte immer und unbedingt heiraten. So war in groß geworden. Doch dann realisierte ich, dass wir als Frauen im Fach nicht ernst genommen wurden. Das hieß, dass man von Anfang an doppelt so viel leisten musste wie die Männer. Ich war später auch zwölf Jahre verheiratet, aber Kinder kamen für mich nicht infrage. Weil ich einfach besessen war von meiner künstlerischen Arbeit. Kunst erlaubte es meiner Meinung nach nicht, sich parallel auch noch um eine Familie zu kümmern. Ich habe viele Beispiele gesehen, wie Kolleginnen, die ein Kind hatten, sich ihrer Kunst nicht mehr ausreichend widmen konnten: Das Kind weinte viel und der Mann weigerte sich, sie dabei zu unterstützen. Auch ich war geprägt von der Idee, dass geistige Arbeit Männersache war, dass man unheimlich viel leisten musste, um anerkannt zu werden, und dass sich Männer lächerlich machen, wenn sie Kinder wickeln. Diese Vorstellung hatte auch ich damals verinnerlicht und auch mein Ehemann. Welche Haltung hatte Ihre Mutter? Die hat das so hingenommen. Einer meiner beiden Schwestern, die Schauspielerin war, hat meine Mutter lange den Haushalt geführt, damit sie Beruf und Ehe verbinden konnte. Doch auch sie hat keine Kinder. Meine andere Schwester hat Klavier studiert, es aber als einzige nicht weitergeführt, weil sie Kinder bekam und mit ihrem Mann viel im Ausland unterwegs war. 1957, da waren sie gerade21 Jahre alt, bekamen Sie den ersten Auftrag. Wie haben Sie es geschafft, über diese lange Zeit bis heute Kreativität und Elan am Brennen zu halten? So etwas kann man nicht vornehmen. Es ergibt sich. Den ersten, allerdings nicht gut bezahlten Auftrag bekam ich in Berlin, eine Wandarbeit für das Studentenwerk. Die 300 D-Mark, die ich bekam, reichten gerade einmal für das Material vom Schrottplatz, um das Modell zu fertigen.  Sie haben im Laufe Ihrer Karriere mit ganz vielen verschiedenen Materialien gearbeitet, es entstanden unterschiedlichste Werkgruppen. Wie beschreiben Sie deren roten Faden? Ich bin der rote Faden. Ich habe immer das gemacht, was ich wollte, was ich in mir spürte. Wenn dann aber eine Materialphase zu Ende ging – und ich bin ja nicht planlos umhergesprungen, sondern habe jedes Material gründlich durchgearbeitet – dann gab es einen Punkt, an dem ich dachte: jetzt nicht mehr. Oder einmal stand in der Zeitung: »Die Berliner Holzbildhauerin Ursula Sax«. Da habe ich gedacht, es ist Zeit damit aufzuhören. Ich wollte nie in diese oder eine andere Schublade gesteckt werden. Allerdings hat mir meine Arbeitsweise das Leben sehr schwer gemacht. Weil sowohl die Galeristen als auch die Öffentlichkeit von einem Künstler verlangten, dass er bei seinem Leisten bleibt. Ein Leben lang Stein, ein Leben lang Bronze, was weiß ich. Das ist heute zum Glück anders. Wenn man Gerhard Richter anguckt, der darf die disparatesten Sachen machen, und die unbekannteren Künstler auch. Waren Sie vielleicht auch deshalb für Galeristen nicht einfach, weil Sie eher Ihrer Zeit voraus waren? Das kann man selber nicht sagen. Vielleicht ja, was die Formensprache angeht und die Verwendung der Materialien. Es waren einfach meine Gedanken, denen ich gefolgt bin. Wären Sie heute gerne nochmal vierzig oder fünfzig? Nein. Weil Ihnen das zu anstrengend wäre? Einmal reicht.Ich habe auch nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben.Ich bin gern und weit gereist. Natürlich gibt es unendlich viel, was ich nicht gesehen habe, aber dem trauere ich nicht nach. Was sind denn Ihre derzeitigen Projekte? Ich habe gesehen, Sie machen noch einen Wettbewerb. Ja, das hat sich so ergeben. Der wurde an mich herangetragen, ist aber auch kein Riesending. Ich würde gerne noch einmal eine richtig große Skulptur machen wie das gelbe Looping am Berliner Messegelände. In Dresden habe ich ja 2011 im Albertinum eine lange Decken-Arbeit gemacht, die aber leider nicht mehr existiert. Das bedauere ich sehr, weil mir diese Arbeit immer am Herzen lag und ich große Formate einfach liebe.Einmal noch würde gern ich die Realisierung eines großen Formates miterleben. Was genau gefällt Ihnen an den großen Formaten so gut? Dass man aufatmen kann und dass man ein Stück Welt mitgestaltet. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir schon, dass mein Werk, das ich selber nicht genügend gewürdigt finde, in der Öffentlichkeit mehr gesehen wird und in der Fachwelt seinen Platz bekommt. Wie sind Sie denn mit diesen oder anderen Enttäuschungen in ihrem Leben umgegangen? Was gibt Ihnen die Kraft, immer weiter zu machen? Die Tatsache, dass ich noch lebe und spüre, da ist noch mehr. Spiritualität hat mich auch sehr beschäftigt über die Jahre. Sie ist eine wichtige Kraft.Das war mir mit zwanzig noch nicht bewusst, aber es war schon da.In einer schwierigen Zeit schließlich begann ich zu meditieren, und das habe ich bis heutebeibehalten. Ich war auch oft in Indien, in einem Ashram mit einer Gruppe Yogalehrer. Ich habe mich dort intensiv umgeschaut, bin aber nicht dabei geblieben. Wie haben Sie Ihre Zeit als Professorin in Berlin, Braunschweig und Dresden erlebt? Es ist eine große Freude, die jungen Menschen zu sehen und zu führen. Mitzuerleben, wie sie sich von der Aufnahmeprüfung bis zum Ende des Studiums weiterentwickeln. Ihnen dabei zu helfen, sich selber zu entdecken, ihn oder sie zu ihrer jeweiligen Eigenart zu begleiten. Das ist wunderbar. Aber es gehört natürlich auch zur Aufgabe der Lehrenden, die jungen Menschen darauf hinzuweisen, dass sie vielleicht nicht ausreichend begabt sind. Das ist schmerzvoll aber oft sehr hilfreich, weil sie sich dann bewusst entscheiden müssen, weiterzumachen oder etwas Geeigneteres für sich zu finden. Wäre Ihr Lebensweg anders verlaufen, wenn Sie dreißig oder vierzig Jahre später geboren worden wären? Sicher hätte ich einen anderen Weg genommen. Aber das ist nicht interessant. Ich bin zufrieden mit den Möglichkeiten, die ich hatte. Das heißt, Sie gucken nicht mit Bitternis zurück, sondern akzeptieren, dass sie härter als die männlichen Kollegen für Ihren Erfolg arbeiten mussten? Ich musste das akzeptieren. Ich habe es sogar für normal gehalten. Weil ich durch meinen Vater und andere intellektuelle Männer, für die schwärmte, das Gefühl verinnerlicht hatte, dass ich als Frau nicht so viel wert sei oder mich eben unglaublich anstrengen muss. Wann haben Sie das Gefühl gehabt, dass Sie als Frau den männlichen Künstlerkollegen ebenbürtig sind? Mein Selbstbewusstsein ist stetig gewachsen, z. B. dadurch, dass ich zu meinem Erstaunen Wettbewerbe gewann, an denen sonst nur Männer teilnahmen. Und so habe ich natürlich auch langsam verinnerlicht, dass Männer in künstlerischer oder intellektueller Hinsicht Frauen nicht per se überlegen sind. Infolge Ihrer langen, anhalten Schaffenszeit, müssen sie miterleben, dass Ihre Skulpturen zerstört werden, weil manche Gebäude abgerissen und der Wert Ihrer Kunst missachtet wurde. Wie gehen Sie damit um? Das war ein Erstaunen beim ersten Mal. Ich hätte es gar nicht für möglich gehalten, das innerhalb von wenigen Jahrzehnten die Neubauten einer Ära obsolet werden und die in dem Zusammenhang entstandene Kunst als völlig wertlos abgeräumt wird. Da ich mit einer Gruppe erfolgreicher Newcomer-Architekten bekannt war, bekam ich vor allem in Berlin bis in die 1980er Jahre große Aufträge für Innenraumgestaltungen und gewann und realisierte Kunst-am-Bau-Wettbewerbe. Dass deren Häuser und meine Werke schließlich nichts mehr wert sind, einfach weggehauen werden und sich niemand um die Kunst kümmert, das macht mich traurig. Auch die öffentliche Hand unternimmt nichts. Natürlich war vieles maßgeschneidert für die bauliche Situation, sodass man die Skulptur, den Brunnen oder die Wandarbeit woanders schwer verwenden konnte. Aber es gab eben auch gar kein Bedauern seitens der jeweiligen neuen Eigentümer oder der Verwaltungen, kulturelles Gut zu zerstören. Das ist ein Armutszeugnis unserer Zeit und frustriert. In welchem Austausch stehen Sie mit beruflichen Kollegen? Ich habe meine Arbeit eher im Alleingang gemacht. Insofern habe ich auch nicht viele Kollegen, mit denen ich mich austausche.Aber mit Eberhard Bosslet, eine meiner Kollegen an der Kunsthochschule Dresden, habe ich in engem Kontakt gestanden. Auch über meinen Galeristen Semjon lerne ich immer wieder jüngere Künstlerinnen kennen,z. B. Ramona Zipfel, Birgit Sauer und Claudia Busching, die ich interessant finde, weil sie bei den Naturwissenschaften andocken. Kommen von Ihnen auch Impulse für Ihre eigene Arbeit? Eher nicht. Die Anregungen kommen aus dem Leben. Ich besuche sehr gerne Salons. Das sind immer anregende Begegnungen, wenn sich viele gescheite Menschen zu einem Thema versammeln, einem Experten zuhören und anschließend diskutieren. Natürlich gehe ich in Ausstellungen und zu Vernissagen, sehr gern auch ins Theater. Viele Jahre war ich mit Bühnenbildner Martin Rupprecht, der vor einiger Zeit gestorben ist, intensiv befreundet. Er war ein sehr reger Geist. Wir haben viel unternommen, er hat mich beraten, also ein top Freund, der jetzt leider nicht mehr da ist. Welche Momente haben Ihnen größtes Glück beschert? Ein richtiges Glück für mich war die erwähnte Arbeit im Albertinum in Dresden. Sie war 21 Meter lang und ist wirklich geglückt, und zudem aus lauter Unmöglichkeiten entstanden. Denn es gab nicht einmal den Wunsch auf Seiten des Albertinums, eine Skulptur in der großen Halle zu haben. Zudem gab es kein Geld und keine Erlaubnisse, auf dem Boden oder an den Wänden etwas zu installieren. Stück für Stück musste ich mich vorarbeiten – eine unheimliche Befriedigung, auch wenn ich keinen Pfennig dabei verdient habe. Wovon leben Sie jetzt? Ich mache immer noch Kunst, doch ich verkaufe sie wenig. Aber ich habe eine Pension von der Professur, wofür ich sehr dankbar bin. Und dann habe ich noch mein Haus in Dresden verkauft – das ist mein finanzieller Hintergrund. So kann ich ein recht angenehmes und freies Leben führen. Gab es Zeiten, in denen Sie auf dem Kunstmarkt viel verkauft haben? Nein, am Kunstmarkt habe ich wenig verkauft und mit Galerien hatte ich nie Glück, bis auf jetzt bei Semjon. Auch wenn mich früher jemand ausgestellt hatte, wurde nichts verkauft, und deshalb folgte auch nur selten eine zweite Ausstellung. Dass es mit Galerien so schlecht lief, liegt auch daran, dass ich, wie zu Beginn erwähnt, sehr verschiedene Werkphasen hatte, auf die sie und ihre Kunden sich nicht einstellen wollten oder konnten. Aber die Aufträge für den öffentlichen Raum, die sind mir zugefallen, von Anfang an. Ich hatte eine sehr gute Beziehung zu Architekten, war in ihren Büros zu Gast und habe mitgeredet, bis hin zu Jurys, an denen ich schließlich viel beteiligt wurde. Mit großer Freude, weil es mir eine interessante Abwechselung neben der isolierten Atelierarbeit bot. Waren Sie in den Jurys die einzige Frau? InBerlin waren immer auch andere Frauen dabei, aber in Bonn war ich oft die einzige. Haben Sie sich in Ihrem Urteil von den männlichen Jurykollegen unterschieden? Nein, das kann man nicht sagen. Wie mussten ja immer die vorhandenen Bewerbungen beurteilen, und da kommt es dann mehr darauf ab, ob man mit den Männern und Frauen die gleiche Wellenlänge hat. Wichtig war mir immer nur, dass die Jury wirklich ergebnisoffen arbeitet, diskutiert und deshalb ein befriedigendes Ergebnis herauskommt, was nicht immer der Fall war. Argument und Gegenargument, die Sache von einer anderen Seite betrachten und gemeinsam zu einem neuen Resultat kommen – das ist das Interessante am Austausch über Kunst, egal ob an der Hochschule oder in Jurys.

Das Interview erschien im Juli 2018 im Dossier „Älterwerden als Kulturschaffende“ als Beilage von „Politik & Kultur“, der Zeitung des Deutschen Kulturrates.
30.08.2019

Tribute to László – Appia, #2 – 2019

Der aus Ungarn stammende László Moholy-Nagy ist bekannt als prägender Maler, Fotograf, Designer und Regisseur des Bauhauses. Weniger bekannt dürften seine revolutionären Leistungen als Medienpionier sein: Schon 1923 bearbeitete er Schelllackplatten mit Linolschnittwerkzeugen und nutzte so das noch junge Medium der Schallplatte für Experimente: „Moholy-Nagy sah in der Schallplatte die musikalische Zukunft. Aber er protestierte dagegen, sie nur als Mittel der Reproduktion von Aufführungen zu gebrauchen. Wir experimentierten zusammen, ließen sie rückwärts laufen, was vor allem bei Klavierplatten überraschende Effekte ergab. Wir bohrten sie exzentrisch an, so daß sie nicht regelmäßig liefen, sondern ‚eierten’ und groteske Glissandotöne produzierten.“ (Hans Heinz Stuckenschmidt 1923) „Tribute to László“ folgt u.a. mit Arbeiten des Labels RASTER. und Claudia Märzendorfer der Neugierde Moholy-Nagys, neue Medien nicht bloß als neue Mittel der Reproduktion zu nutzen, sondern sie auch als neue Werkzeuge für kreatives Arbeiten zu verstehen. Gleichzeitig wird die Schallplatte gefeiert, die auf geheimnisvolle Weise sowohl für Archivierung und Tradierung wie auch für das Fragile und Vergängliche steht. RASTER. ist eines der international erfolgreichsten Labels im Bereich der experimentellen Musik und elektronischen Künste, im „RASTER. Labor“ erforschen Künstler*innen in minimalistischen Installationen die dynamischen wie geheimnisvollen Felder des generativen Komponierens. Für „Tribute to László“ wird ein Vinyl-Hardware-Setup von Byetone und Mieko Suzuki in HELLERAU präsentiert. Am Tag zuvor lädt RASTER. am 13. September in der APPIA Bühne zur Langen Nacht der elektronischen Musik: Nachdem „RASTER. electric campfire“ zehn Jahre erfolgreiches Festivalformat der Villa Massimo in Rom war, wird es nach einem letztjährigen Gastspiel in Peterhof (RU) jetzt erstmals in Deutschland stattfinden. Die Künstlerin Claudia Märzendorfer aus Wien präsentiert „Frozen Records” seit 2005 in verschiedenen Settings auf internationalen Musikfestivals und Institutionen. „Frozen Records” thematisiert auf faszinierende Weise das Verschwinden, das Filigrane und Zarte in der Kunst, besonders aber in der Musik. Die in einfachen aber langwierigen Prozessen hergestellten Schallplatten aus Eis, die in einer Performance nur kurze Zeit Klänge an die Zuhörer übermitteln können, bevor sie sich wieder auflösen und verstummen, sind nicht nur Medium, sondern auch Skulptur: Monumente des Zeitalters der technischen Reproduzierbarkeit im Moment der Erkenntnis von Vergänglichkeit.

30.08.2019

ACTIONS – Interview mit Nicolas Cilins und Yan Duyvendak, #2 – 2019

ACTIONS ist ein Bühnen- und Aktionsprojekt der holländischen, schweizerischen und französischen Künstler*innen Yan Duyvendak, Nataly Sugnaux und Nicolas Cilins. Grundidee ist die konkrete Verhandlung eines in der Stadt drängenden Problems im Zusammenhang mit dem Thema Migration in Form einer theatralen Versammlung. Über Recherchen im Vorfeld analysiert das Autor*innenteam gemeinsam mit dem HELLERAU-Team die besonderen Dresdner Bedingungen in den Bereichen Migration, Zusammenleben und Arbeit. Spezialist*innen, die in diesen Feldern tätig sind, werden interviewt. Aus dem Material entsteht das Skript für eine einmalige Theateraufführung. ACTIONS möchte neue Perspektiven bieten und helfen, konkrete Lösungen in einem komplexen Feld zu finden. ACTIONS bewegt sich als dokumentarisches Theater und soziales Forum an der Grenze zwischen Kunst, Politik und Aktion. Wilson le Personnic: Die Arbeitsweise für das Projekt ACTIONS ist kollektiv. Wie wichtig ist die Idee der kollaborativen Arbeit für dieses Projekt? Yan Duyvendak/Nicola Cilins: ACTIONS ist ein Konzept, das sich zwischen Performance, Theater und Dokumentation bewegt. Es handelt sich um ein Diskussionsformat, das Werkzeuge des dokumentarischen Theaters nutzt und auf der Grundlage eines Drehbuchs basiert. Wichtig ist der intensive Vorbereitungsprozess mit den Spezialist*innen aus der Stadt. Die Performance ACTIONS dauert nicht länger als eine Stunde, die Diskussion des Abends ist inszeniert, folgt einer bestimmten Dramaturgie, und es muss gewährleistet sein, dass jede*r Teilnehmer*in seine eigene Rolle während der Diskussion nicht verlässt: Bürger*in, Politiker*in, Freiwillige, Autor*innen und Geflüchtete bleiben sie selbst. Was sind aus ideologischer, sozialer und politischer Sicht die Hauptthemen, die von ACTIONS aufgeworfen werden? Die Probleme im Zusammenhang mit der Aufnahme von Geflüchteten sind keine einzelne Angelegenheit der Staaten, der Gesetzgebung, des Engagements der Zivilgesellschaft oder auch eine Frage der Mittel. Das ist es, was uns in eine seltsame und ausweglose Situation bringt. Und in dieser Situation öffnet das Projekt Zwischenräume. Dank der unterschiedlichen Ereignisse und Erfahrungen innerhalb der Performance ACTIONS, die bisher in Italien, Griechenland, Frankreich und in der Schweiz stattgefunden hat, können wir sagen, dass in jedem Land, jeder Stadt, jeder Gemeinde alles anders ist: die Gesetze, ihre Interpretationen, Regeln, materielle Einschränkungen, Geschichten und Verpflichtungen jedes Einzelnen. Vielleicht ist bei aller Unterschiedlichkeit allein der menschliche Faktor nicht reduzierbar. ACTIONS arbeitet an einer Grenze: der des Aktivismus. Welche Vorarbeiten finden statt und wie werden die verschiedenen Akteur*innen des Projekts zusammengeführt? Die Besonderheit von ACTIONS als Stück besteht darin, dass es mit jedem Auftritt neu geschrieben wird. Die verschiedenen Teilnehmer*innen besprechen die dringendsten lokalen Themen. Diese Dringlichkeit wird im Vorfeld mit den aktiven Partner*innen vor Ort definiert. Wir führen gemeinsam mit ein oder zwei Journalist*innen Interviews mit den verschiedenen Teilnehmer*innen durch. Danach schreiben wir das Drehbuch, welches das Wesen des Problems erfassen soll. Diesen Entwurf diskutieren wir erneut mit den Teilnehmer*innen, um dann mit dem finalen Drehbuch die inszenierte Diskussion vor einer Öffentlichkeit aufzuführen. Wie hat sich diese Struktur zwischen Interview-Protokoll und Dokumentartheater entwickelt? Wir haben die Arbeit empirisch aufgebaut und den Prozess an die Befindlichkeiten und besonderen Bedürfnisse jeder Person angepasst. Gleichzeitig versuchen wir, die wichtigsten Probleme zu erkennen, herauszufiltern. Es ist ein Balanceakt, und an dieser Stelle ist das Format interessant. Es vermeidet hitzige Debatten, weil alles vorab notiert wurde und alle vorab zugestimmt haben. Wir haben natürlich über diese Struktur nachgedacht und eine solche Struktur ist nur durch viele Annäherungen möglich. Trotz der genauen Abläufe und des Formats ist auch ein Scheitern während der Aufführung möglich. Es ist ein spannendes, äußerst komplexes Werk, da es gleichzeitig auf der konzeptionellen, politischen, sozialen, menschlichen und formalen Ebene stattfindet. Welche Rolle spielt das Medium Theater angesichts politischer, gesellschaftlicher und realer Fragen? Nur weil hier etwas Reales passiert, ist es nicht gleichzusetzen mit der Darstellung der Realität. Das ist das Spannende an dieser Form von Performance. Was das Medium „Theater“ betrifft, so versuchen wir, etwas Archaisches zu finden, etwas, das uns mit der Politik verbindet.

ACTIONS wird mit jedem Auftritt neu geschrieben.

„Arbeit, Ausbildung und Bildung sind wesentliche Systeme gesellschaftlicher Integration und Inklusion, die nicht nur der Existenzsicherung, sondern auch der gesamtgesellschaftlichen Partizipation dienen. Daher ist es auch für Migrant*innen und Geflüchtete wesentlich, in diesen Bereichen aktiv beteiligt zu sein und ihren Anteil beizutragen. Die Rahmenbedingungen der Zugänge zu den Voraussetzungen wie Spracherwerb, nachholende Bildung und weitere Integrationsangebote werden durch den Aufenthaltsstatus und das Herkunftsland bei Geflüchteten stark beeinflusst. Neben den Ausgrenzungen bei „unsicherem“ Aufenthaltsstatus (während des Aufenthalts in sogenannten Ankerzentren oder Erstaufnahmeeinrichtungen, während des Asylverfahrens oder bei einer „Duldung“) können Migrant*innen häufig auch nicht in den in der Heimat erworbenen Berufen arbeiten. Förderungen durch die Arbeitsverwaltungen werden nicht gewährt, weil die Aufenthaltsdauer, die in den Papieren steht, zu kurz ist oder die Voraussetzungen für eine Teilnahme nicht oder nur auf dem Papier zu dieser Zielgruppe „passen“. Noch viel zu oft stellen komplexe Gesetzeslagen erhebliche Hindernisse für eine faire Teilhabe an guter Erwerbsarbeit in Deutschland dar und verweigern so Geflüchteten das Menschenrecht auf Arbeit. Letztlich fehlt es auch oft an Unterstützung von Menschen im Umfeld, die bei der Bewältigung von Anforderungen der Berufsschule, während der Ausbildung oder bei Absolvierung von Schulabschlüssen – bei unterbrochener Bildungsbiografie – Nachhilfe oder Beistand geben könnten.“ Andre Kostov, Projektkoordinator Fachlich-inhaltliche Programmbegleitung Arbeitsmarktmentoren Sachsen beim Sächsischen Flüchtlingsrat und Partner von HELLERAU bei ACTIONS

30.08.2019

Once again I fall into my feminine ways., #2 – 2019

„4:3 Kammer Musik Neu“ stellt Musik ins Zentrum und besetzt, verbindet und befragt Räume – musikalische, architektonische oder auch gesellschaftliche, private und politische. 2019 stehen mit Rebecca Saunders und Ragnar Kjartansson zwei Künstler*innen im Fokus, die einerseits sehr verschiedene künstlerische Ansätze und Sprachen entwickelt haben, mit ihren Arbeiten „Stasis“ bzw. „The Visitors“ aber eindrucksvoll auch gemeinsame Themen beleuchten: Welche Räume eröffnet oder entwickelt Musik, welche Rollen übernimmt ein Publikum, wie prägt es den Raum und die musikalische Situation? „Stasis“ von Rebecca Saunders ist das am breitesten angelegte Werk einer Serie von Kompositionen, die sowohl der Verräumlichung verschiedener Musiker*innen als auch der formalen Verbindung und Collage einzelner Kammermusikstücke nachgeht. Sechzehn Musiker*innen sind in Kammermusikgruppen verschiedener Besetzungen aufgeteilt, horizontal und vertikal postiert und befinden sich teilweise außerhalb des Aufführungsraums. Jedes der unabhängig komponierten Module erforscht eine streng reduzierte Klangpalette. Verschiedene musikalische Fäden werden formal verbunden und erzeugen ein komplexes polyphones Gewebe von Klangflächen: Eine Klangskulptur wird in den Aufführungsraum projiziert. Ein abstraktes Musiktheater entsteht, in welchem die Musiker*innen die Protagonist*innen in einem gemeinsamen musikalischen Umfeld oder einer gemeinsamen Klanglandschaft sind.“ So beschreibt Rebecca Saunders ihr Werk und kommt dann auf die Kurzgeschichte „Still“ von Samuel Beckett zu sprechen. „Den Kopf dem Sonnenuntergang zugewandt, betrachtet der ungenannte Protagonist das Hereinbrechen der Nacht, die anwachsende Dunkelheit; den Kopf langsam und behutsam von den Händen gestützt, wartet er, während sich die Dunkelheit ausbreitet, auf einen Klang. Die Metaphern von Dunkelheit und Licht, Schweigen und Klang, Bewegung und Stille durchdringen das zerbrechliche Gefüge seiner Sprache. Wie in alle Ewigkeit gedehnt ist die zeitlose Melancholie, die kurz, hart und ehrlich ist und dennoch durchdrungen von Menschlichkeit und Zärtlichkeit. Eine Stasis; der menschliche Körper verharrt im Zustand der Erwartung, zitternd.“ Der isländische Performancekünstler Ragnar Kjartansson ist Filmemacher, Maler, Bildhauer und Musiker – und ein Magier der Langsamkeit und Wiederholungen. In „Raw Salon: Ein Rohspiel“ spielte er an der Berliner Volksbühne zusammen mit Schauspielern über fünf Stunden 27 Variationen einer Szene, in „Krieg“ ließ er einen Schauspieler eine Stunde lang verschiedenste Tode sterben, anlässlich der Biennale in Venedig 2009 malte er in einem baufälligen Palazzo am Canale Grande über sechs Monate jeweils täglich ein Porträt seines Freundes. Ragnar Kjartanssons elegische Videokomposition „The Visitors“, die nach Stationen u.a. in Zürich, Wien, New York, Los Angeles oder Mailand jetzt auch in HELLERAU zu erleben sein wird, ist eine Hymne an die romantische Liebe und ihr bitteres Scheitern und eine Hommage an die Lieblingsband des Künstlers der 1970er Jahre – ABBA – deren namensgleiches Album 1981 das Ende ihrer Karriere einleitete. Das festliche Zusammentreffen einer eklektischen Gruppe von Musiker*innen und Kjartanssons engsten Freund*innen in der verfallenen Rokeby Farm in Upstate New York wird zum phantasmagorischen Hintergrund für die Inszenierung einer zutiefst melancholischen musikalischen Performance. Basierend auf der Vertonung des Gedichts „Feminine Ways“, das von Kjartanssons früherer Partnerin Ásdís Sif Gunnarsdóttir stammt, zeigt das kinematografische Tableau neun Protagonisten, die den Song in jeweils separaten Settings auf neun in einem Raum angeordneten großen Videoflächen vortragen: A pink rose, in the glittery frost, a diamond heart, and the orange red fire Once again I fall into my feminine ways You protect the world from me, as if I’m the only one who’s cruel, you have taken me, to the bitter end Once again I fall into my feminine ways. Rokeby Farm am Hudson River ist Teil eines Landstrichs historischer Anwesen, deren Bauten bis in die Kolonialzeit zurückgehen und vor allem Landadel, Industriemagnaten und notorische Persönlichkeiten anzogen, die dort ihre verschwenderischen Güter bauten. „The Visitors“ hält den ausgedehnten Moment fest, in dem Kjartansson und seine Begleiter*innen das feudale Herrenhaus der Rokeby Farm mit ihrer Vorführung vereinnahmen. Angezogen vom romantischen Flair der Verwahrlosung und den exzentrischen Bewohner*innen des Hauses inszenieren Kjartansson und seine Gäste ein “feminines, nihilistisches Gospellied” – Kjartanssons ureigenes Genre musikalischer Widersprüche. Sie nehmen verschiedene Innen- und Außenräume ein, jeder und jede von ihnen besetzt eine distinkte, höchst malerische Kulisse, spielt ein jeweils anderes Instrument und singt, wie zu sich selbst, die Melodie des Liedes. Erst im Ausstellungsraum werden die neun individuellen Interpretationen zu einer harmonischen Orchestrierung und zu einem räumlichen Gesamtbild vereint, in dem sie gleichzeitig auf neun Videoleinwänden im Raum zu erleben sind. Das Publikum – und nur das Publikum – kann so die einzelnen Stimmen als Zusammenklang erleben und wird Zeuge eines permanenten Zustands von Vergänglichkeit und Unbeständigkeit, eines virtuellen Raumes von Gemeinschaft, eines geheimnisvollen musikalischen Raumes der Melancholie, Schönheit und Sehnsucht.  

30.08.2019

Interview mit Residenzkünstlerin Mary Gelman (RUS) 2019/20 , #2 – 2019

Mary Gelman ist Dokumentarfotografin und Soziologin aus St. Petersburg. Sie war Gewinnerin zahlreicher Wettbewerbe, u.a. erhielt sie den Leica Oskar Barnack Award, Istanbul Photo Award, den 2. Platz beim Andrei Stenin International Photo Contest und den Residenzpreis beim Portrait – HELLERAU Photography Award 2019. Woran arbeitest du während der Residenz in HELLERAU? Ich arbeite an meinem neuen Projekt, „Acts of Acceptance of the Body“, für das ich Fotos von Frauen, Paaren und Familien in Moskau und St. Petersburg gemacht habe, die wegen ihres Gewichts durch verschiedene Strukturen und von verschiedenen Gruppen in Russland diskriminiert werden. Während der Residenz möchte ich einen Schritt weitergehen und mit dem Medium Video die Themen Akzeptanz eines Körpers, Kultur der Scham und Einfluss der Ernährungskultur verbinden. Was verfolgst du mit dem Projekt „Acts of Acceptance of the Body“? Das Projekt wird keinen Leitfaden haben, sondern eher eine Einladung sein für einen anderen Umgang mit dem Thema Körper. Ich habe mit verschiedenen Frauen sehr persönliche Gespräche aufgenommen, bei denen sie mir Aktivitäten zeigten, die ihnen geholfen haben, Harmonie mit ihrem Körper zu fühlen und aus dem Kreislauf der empfundenen Scham für ihren Körper auszubrechen. Wie würdest du deine Arbeitsweise beschreiben? In meinem Projekt über Fatphobia untersuche ich die Kultur der Scham. Welchen Druck üben Schönheitsnormen und die Ernährungsindustrie auf die Akzeptanz des eigenen Körpers aus? Ich untersuche diese Zusammenhänge durch Erzählungen von Menschen. Dabei praktiziere ich eine Kollaborationsmethode mit den Teilnehmer*innen, bei der wir gemeinsam in den Prozess der Erstellung eines Bildes oder Videos eintreten. Künstler*innen aus den Bereichen Tanz, Theater, Performance, Neue Musik und Medien können im Rahmen des Residenzprogramms Arbeitsmethoden vertiefen, künstlerisch forschen sowie konzentriert Projekte entwickeln und sich mit anderen Künstler*innen austauschen. HELLERAU bietet Künstler*innen einen Wohn- und Arbeitsort vor Ort. Die Residenzen werden direkt an Künstler*innen aus der Region und dem In- und Ausland vergeben, deren künstlerische Arbeit von HELLERAU unterstützt und zu denen eine längerfristige Arbeitsverbindung aufgebaut wird. Darüber hinaus ist das Residenzprogramm mit verschiedenen Partnerinstitutionen wie den Goethe-Instituten in Istanbul und Québec, dem Conseil des arts et des lettres du Québec, der Stiftung Kunst und Musik für Dresden und weiteren Kulturpartner*innen international verknüpft. HELLERAU engagiert sich im Arbeitskreis deutscher internationaler Residenzprogramme. Neben der Arbeit an den eigenen künstlerischen Projekten wird auch der Kontakt zur regionalen Szene ermöglicht und damit ein Austausch künstlerischer Perspektiven und Arbeitsweisen befördert. Dresdner Kulturpartner wie zum Beispiel das Medienfestival CYNETART sowie dgtl fmnsm im Bereich Digitale Kunst und der PORTRAITS – HELLERAU Photography Award im Bereich Fotografie sind Teil des Residenzprogramms. Rosa Müller, in HELLERAU für die Residenzen verantwortlich, sprach mit drei Residenzkünstlerinnen, die bereits in HELLERAU waren oder in dieser Saison hier arbeiten werden.

30.08.2019

Interview mit Residenzkünstlerin Agata Siniarska (PL) 2018/19, #2 – 2019

Agata Siniarska produziert Performances, Lesungen, Vorträge, Videos und Fernsehsendungen. Sie ist ein Gründungsmitglied von Female Trouble und Mitbegründerin von Pinpoint TV. Ihr aktuelles Projekt ist eine Forschung rund um forensische Choreografie und verkörperte Archive. In HELLERAU hast du an dem Projekt „Second Nature“ für das Festival „Erbstücke“ gearbeitet. Wer war Teil Deines Teams? Das Konzept dieses Projekts habe ich mit Karolina Grzywnowicz entwickelt, die auf dem Portikus des Festspielhauses eine Installation aus Erde, Pflanzen und Bäumen geschaffen hat. Mit der Tänzerin Katarzyna Wolinska haben wir an dem Bewegungsmaterial gearbeitet und Mateusz Szymanowka war der Dramaturg des Projektes. Womit habt ihr euch während der zwei Residenzaufenthalte beschäftigt? Während der ersten Residenz habe ich konzeptionell an dem Dialog zwischen Choreografie und Installation gearbeitet. In der zweiten Residenz haben wir ganz konkret geprobt, wie die Performance und die Installation live miteinander korrespondieren. HELLERAU ist ein hervorragender Arbeitsort und für verschiedene Formen von Arbeitsmodi geeignet. Mit welchen Themen beschäftigst du dich derzeit in deinen Arbeiten? Gerade beschäftige ich mich mit der choreografischen Rekonstruktion des Prozesses des Artensterbens – als eine zeitlich und räumlich dynamische Todeslandschaft. Durch die Verwendung und Transformation der Taktiken, Werkzeuge und Strategien der Kunstund Rechercheagentur Forensic Architecture bin ich dabei, eine „forensische Choreografie“ zu schaffen. Künstler*innen aus den Bereichen Tanz, Theater, Performance, Neue Musik und Medien können im Rahmen des Residenzprogramms Arbeitsmethoden vertiefen, künstlerisch forschen sowie konzentriert Projekte entwickeln und sich mit anderen Künstler*innen austauschen. HELLERAU bietet Künstler*innen einen Wohn- und Arbeitsort vor Ort. Die Residenzen werden direkt an Künstler*innen aus der Region und dem In- und Ausland vergeben, deren künstlerische Arbeit von HELLERAU unterstützt und zu denen eine längerfristige Arbeitsverbindung aufgebaut wird. Darüber hinaus ist das Residenzprogramm mit verschiedenen Partnerinstitutionen wie den Goethe-Instituten in Istanbul und Québec, dem Conseil des arts et des lettres du Québec, der Stiftung Kunst und Musik für Dresden und weiteren Kulturpartner*innen international verknüpft. HELLERAU engagiert sich im Arbeitskreis deutscher internationaler Residenzprogramme. Neben der Arbeit an den eigenen künstlerischen Projekten wird auch der Kontakt zur regionalen Szene ermöglicht und damit ein Austausch künstlerischer Perspektiven und Arbeitsweisen befördert. Dresdner Kulturpartner wie zum Beispiel das Medienfestival CYNETART sowie dgtl fmnsm im Bereich Digitale Kunst und der PORTRAITS – HELLERAU Photography Award im Bereich Fotografie sind Teil des Residenzprogramms. Rosa Müller, in HELLERAU für die Residenzen verantwortlich, sprach mit drei Residenzkünstlerinnen, die bereits in HELLERAU waren oder in dieser Saison hier arbeiten werden.

30.08.2019

Interview mit Komponistin und Residenzkünstlerin Amy Bryce (GB) 2018/19, #2 – 2019

In ihrer Arbeit beschäftigt sich die Komponistin Amy Bryce mit zeitgenössischer Musik und Theater. Die preisgekrönte Absolventin des Royal College of Music London war bisher vor allem mit der Tête-à-Tête-Oper am Darmstädter Musikinstitut, Musiikin Aika (Finnland) und bei den Musikfestivals Leeds Lieder, Bloomsbury und Cheltenham anzutreffen. Amy, du wurdest von der Stiftung Kunst und Musik für Dresden als Composer-in-Residence für drei Monate ausgewählt. Woran hast du während dieser Zeit in HELLERAU gearbeitet? Die meiste Zeit habe ich damit verbracht, die immersive Oper „A Kinder Society“ zu konzipieren. Ich habe auch an eigenen Performances gearbeitet, die ich unter anderem beim Festival TONLAGEN und bei der Tanzwoche Dresden realisieren konnte. Was hat die Zeit für dich ausgemacht? Ich habe vor allem den Freiraum geschätzt, Ideen zu entwickeln und es war wunderbar, hier in die Community einzutauchen und jede Woche verschiedene Künstler*innen im Programm zu erleben. Es war eine schöne Mischung aus Alt und Neu. Julia Mihály war zum Beispiel beim TONLAGEN-Festival hier, deren fantastische Arbeit ich schon seit den Darmstädter Festkursen im vergangenen Sommer verfolge. Mein absoluter Favorit war Meg Stuart mit „Until our Hearts Stop“. Wirst du in HELLERAU wieder zu sehen sein? Ja! Ich kann es kaum erwarten, nächstes Jahr das Stück „A Kinder Society“ aufzuführen. Ich habe auch spannende Pläne mit einigen Künstler*innen der Dresdner Szene für zeitgenössischen Tanz. Künstler*innen aus den Bereichen Tanz, Theater, Performance, Neue Musik und Medien können im Rahmen des Residenzprogramms Arbeitsmethoden vertiefen, künstlerisch forschen sowie konzentriert Projekte entwickeln und sich mit anderen Künstler*innen austauschen. HELLERAU bietet Künstler*innen einen Wohn- und Arbeitsort vor Ort. Die Residenzen werden direkt an Künstler*innen aus der Region und dem In- und Ausland vergeben, deren künstlerische Arbeit von HELLERAU unterstützt und zu denen eine längerfristige Arbeitsverbindung aufgebaut wird. Darüber hinaus ist das Residenzprogramm mit verschiedenen Partnerinstitutionen wie den Goethe-Instituten in Istanbul und Québec, dem Conseil des arts et des lettres du Québec, der Stiftung Kunst und Musik für Dresden und weiteren Kulturpartner*innen international verknüpft. HELLERAU engagiert sich im Arbeitskreis deutscher internationaler Residenzprogramme. Neben der Arbeit an den eigenen künstlerischen Projekten wird auch der Kontakt zur regionalen Szene ermöglicht und damit ein Austausch künstlerischer Perspektiven und Arbeitsweisen befördert. Dresdner Kulturpartner wie zum Beispiel das Medienfestival CYNETART sowie dgtl fmnsm im Bereich Digitale Kunst und der PORTRAITS – HELLERAU Photography Award im Bereich Fotografie sind Teil des Residenzprogramms. Rosa Müller, in HELLERAU für die Residenzen verantwortlich, sprach mit drei Residenzkünstlerinnen, die bereits in HELLERAU waren oder in dieser Saison hier arbeiten werden.

29.01.2019

Anita Weber tanzt mit: 60+, ArtRose – HELLERAU ist ein fester Bestandteil meines Lebens, #1 – 2019

Bei welchem Projekt machst du in HELLERAU mit und wie bist zu dazu gekommen? Im Sommer 2017 las ich in einem Flyer vom „Workshop 60+“ für alle, die Freude am Tanzen haben. Passt genau, dachte ich und habe mich mit etwas gemischten Gefühlen auf den Weg gemacht. Die Atmosphäre war locker, freundlich und entspannt. Langsam und systematisch wurden am Anfang einzelne Bewegungen beschrieben und ausgeführt, bis zum Schluss wunderbare Bewegungsabläufe des gesamten Körpers entstanden sind. Ich habe dabei meine Muskeln, meinen Körper und meine Beweglichkeit viel bewusster wahrgenommen als bisher. Grund genug, um schon nach dem ersten Workshop zu den ArtRosen zu gehören. Warum lohnt sich das für dich? Was ich ganz besonders schätze, sind die Ernsthaftigkeit, Disziplin und Kontinuität mit der alle gemeinsam arbeiten, wobei die Betonung hier auf „gemeinsam“ liegt. Auch den Zusammenhalt, die gegenseitige Wertschätzung und die Harmonie innerhalb der Gruppe möchte ich nicht mehr missen. Wer Spaß am Tanzen hat und mit 60+ seine körperliche und geistige Beweglichkeit erhalten oder verbessern möchte, dem kann ich die Teilnahme an den Workshops in HELLERAU nur empfehlen. Und wer davon so begeistert ist wie ich, kommt vielleicht auch zu den ArtRosen. Was wünschst du dir von HELLERAU? Ich wünsche mir viele weitere ArtRoseWorkshops, denn dadurch fühle ich mich HELLERAU viel enger verbunden als zuvor. Durch die Gespräche und Workshops mit den Tänzer*innen, welche ich anschließend auf der Bühne bewundern kann, besuche ich jetzt auch wesentlich mehr Aufführungen als früher.

29.01.2019

Nazanin Zandi macht mit: RAC – HELLERAU ist ein fester Bestandteil meines Lebens, #1 – 2019

Bei welchem Projekt machst du in HELLERAU mit und wie bist zu dazu gekommen? Ich mache beim Projekt „Being Hier“ von Ellen Muriel mit. Es ist ein Internationales Frauentheaterprojekt. Wir mischen mehrere Genres: Schattentheater, Puppentheater, Bodymusic, Gesang, Zeichnen, Vorlesen. Wir sprechen unsere Texte auf Deutsch, aber auch in unserer Muttersprache. Da wir ziemlich gemischt sind, entstehen Texte auf Deutsch, Französisch, Italienisch, Arabisch, Persisch, Spanisch, Türkisch, Englisch. Warum lohnt sich das für dich? Bei dem Projekt mitzumachen bedeutet für mich, eine sehr starke faszinierende Frauengruppe in ihrer Komplexität zu erleben. Wir haben gleich von Anfang an sehr starke Freundschaften und Bewunderung für einander gespürt, trotz Alters- und Landesunterschieden. Jede Frau bringt ihre Geschichte, ihre Lebensweise in die Runde. Durch das Theater und das Wiedererleben der Lebensgeschichten auf die Bühne haben wir alle sehr über uns, unsere Vergangenheit, unsere Wünsche für die Zukunft reflektiert. Das erste Theaterstück „Being Here – Hier Sein“ ist nach der Premiere in Hellerau im März 2018 dann spontan „auf Tournee“ gegangen, weil uns in Sachsen viele Institutionen eingeladen haben, dieses starke Stück weiter zu spielen. Was wünschst du dir von HELLERAU? Von HELLERAU wünsche ich mir weiter diese Neugier und diese Offenheit, die es bis jetzt in unsere Arbeit gesteckt hat. Ich finde die Zusammenarbeit sehr bereichernd. Es werden Türen zur Welt eröffnet, es wird uns aber auch die Freiheit gegeben, den Weg alleine zu beschreiten. Bei der Zusammenarbeit ist der Prozess genauso wichtig wie das Ergebnis. Wir erleben Integration und Interesse.

29.01.2019

Paul Thiele macht mit: Kulturgeflüster – HELLERAU ist ein fester Bestandteil meines Lebens, #1 – 2019

Bei welchem Projekt machst du in HELLERAU mit und wie bist zu dazu gekommen? Ich schreibe beim Blog Kulturgeflüster. Das macht mir Spaß, weil ich so verschiedene Inszenierungen anschauen und Leute treffen kann. Zum Kulturgeflüster bin ich über meine Mutter gekommen, die mir für die Ferien einen Workshop über Medien und Journalismus empfohlen hat. Das Festspielhaus Hellerau allerdings ist ein fester Bestandteil meines Lebens, weil ich seit meiner Kindheit daneben wohne. Bei einer Schulaufführung habe ich sogar selbst schon mal auf der Bühne gestanden. Warum lohnt sich das für dich? Kulturgeflüster finde ich spannend, weil ich hier etwas Schönes sehen kann oder etwas, das zum Nachdenken anregt. Oder etwas auf den ersten Blick sehr Verwirrendes, das im Nachhinein interessante Gedankengänge aufwirft. Ja, um Tanz oder Theater zu sehen und um interessante Inszenierungen zu erleben. Mir macht es Spaß, kreativ zu sein und zu schreiben. Das liegt mir viel mehr als die meisten anderen Berufsfelder. So kann ich Erfahrungen für meinen späteren Beruf sammeln. Was wünschst du dir von HELLERAU? Ich wünsche mir von HELLERAU weiterhin „Floor on Fire“. Das ist ein Highlight, das Potenzial für mehrere Folgen bietet. Man kann viele verschiedene Stile, Bewegungen und Einflüsse mit einbauen. So wird es für die Zuschauer noch interessanter. Kulturgeflüster – Die Mitmachredaktion für Kulturbegeisterte Junge kulturliebende Menschen zeigen, was in Dresden alles auf die Bühne kommt. Sie sehen gemeinsam Kultur, reden, schreiben, filmen darüber, um multimediale Kritiken zu veröffentlichen. Interessierte im Alter zwischen 14 und 25 Jahren sind herzlich zum Mitmachen eingeladen.    

28.01.2019

Europäischer Kulturmai 2019, #1 – 2019

Der 9. Mai ist offizieller Europatag und am 26. Mai findet die Europawahl statt. Die drei Dresdner Kultureinrichtungen Staatsschauspiel Dresden, Zentralwerk, HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste sowie das Kulturhauptstadtbüro Dresden 2025 nehmen dies zum Anlass, dem Monat ebenfalls einen europäischen Fokus zu geben: Über 700 Kunst- und Kulturschaffende aus ganz Europa werden die Stadt mit vielfältigen Veranstaltungen bereichern. Kulturelle Teilhabe im Bereich Kunst, Theater und Performance wird dabei das Schwerpunkthema sein, um auf europäischer Ebene künstlerische Experimente und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Am 10. und 11. Mai lädt HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künsteunter dem Motto „Arbeitstitel: Europa“ zu einem interdisziplinären Parkour ein. Zwei Tage wird das gesamte Festspielhaus von sächsischen Künstler*innen und Kunststudierenden aller Sparten belebt. Unterschiedliche Werke, Skizzen und Showings aus den Bereichen Tanz, Performance, Installation, Video, Musik und Sound werden gezeigt. Die Zuschauer*innen haben die Möglichkeit, den ganzen Abend auf Entdeckungsreise durch die Vielfalt der regionalen Kunstszene zu gehen. Der Parkour widmet sich folgenden Fragen: Welche Rolle spielt Europa für eine jüngere Generation? Wie nehmen Künstler*innen Europa als politisches, gesellschaftliches und kulturelles Projekt wahr? Nach einer offenen Ausschreibung wählt eine Jury im Februar 2019 aus den Einsendungen 15 bis 20 Arbeiten aus. Vom 16. – 18. Mai richtet das Zentralwerk in Kooperation mit TransEuropeHalles sowie mit dem Kulturhauptstadtbüro Dresden 2025 die Konferenz europäischer Kulturzentren unter dem Titel „pARTizipation“aus. Akteur*innen aus ganz Europa geben Einblick in ihre Praxis, tauschen sich über ihre Methoden aus und zeigen, wie Kunst und Kreativwirtschaft das Miteinander stärken. Das Rahmenprogramm ist für alle Dresdner Bürger*innen offen: Mit „The Exchange“ laden Dana Caspersen und Michael Douglas im Rahmen eines Workshops zum choreografierten Dialog ein, bei Kick-O DISCE! diskutieren die Projektpartner*innen mit Vertreter*innen der lokalen Kreativwirtschaft und der Politik und mit BALLA BALLA lädt das Zentralwerk schließlich zum Abschlussball mit Künstler*innen aus den eigenen Reihen, vom TanzNetzDresden und aus dem TEH-Netzwerk. Das Zentralwerk Dresden ist ein genossenschaftlich organisierter Ort, an dem die elementaren Lebensbereiche Wohnen, Arbeit und Kultur generationenübergreifend verwirklicht werden. Seit 2017 ist das Zentralwerk Mitglied von TransEuropeHalles (TEH), einem Netzwerk von kulturellen Zentren in freier Trägerschaft mit über 90 Mitgliedern in 20 Ländern. HELLERAU greift das Thema der Konferenz „Kunst und Partizipation“ auf, und bietet vom 15. – 17. Mai als begleitendes Programm für die Konferenzteilnehmer*innen und alle interessierten Dresdner*innen drei künstlerische Positionen an, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit der Teilhabe in künstlerischen Projekten beschäftigen: Kate McIntoshs „In Many Hands“, „Just in Time – Letters to Dance“des Berliner Künstlerduos Deufert&Plischke, sowie „Copy & Dance“unter der Anleitung von MC Tinaund VJ Anna. Vom 18. – 25. Mai schließlich richtet das Staatsschauspiel Dresden „OUR STAGE – 4. Europäisches Bürgerbühnenfestival“ aus. Wie in Deutschland, wo in den vergangenen Jahren zahlreiche Bürgerbühnen und ähnliche Modelle entstanden sind, ist auch in anderen europäischen Ländern die Entwicklung des partizipativen Theaters vorangeschritten. Auf allen Bühnen des Staatsschauspiels, in HELLERAU sowie im Societaetstheater werden eine Woche lang elf herausragende europäische Theaterproduktionen gezeigt. Ein umfassendes Rahmenprogramm mit zahlreichen europäischen Künstler*innen eröffnet außerdem Einblicke in die Entwicklung partizipativer Theaterformen im internationalen Kontext. Das Festival wird durch die Kulturstiftung des Bundes gefördert. Kooperationspartner ist die European Theatre Convention (ETC), ein Zusammenschluss von über 40 europäischen Theatern aus 25 Ländern. Während des Festivals richtet die ETC ihre Jahreskonferenz in Dresden aus. Die Auswahl der Festivalproduktionen und die Gestaltung des Rahmenprogramms erfolgt durch Miriam Tscholl, der Leiterin der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden, mit Unterstützung eines europäischen künstlerischen Beirats. Das finale Programm wird im Januar 2019 veröffentlicht. Dresden will Kulturhauptstadt Europas 2025 werden und ein Jahr lang Zentrum des europäischen Kulturlebens sein. Ziel ist es, ein unvergessliches Kulturjahr für alle zu gestalten, welches sich nachhaltig auf die Stadt auswirkt. Als Kulturstadt ist Dresden einzigartig, sie ist Schmelztiegel zwischen Ost und West. Gleichzeitig steht Dresden für aktuelle Herausforderungen, die auch Europa betreffen und nur durch eine Kultur des Miteinanders zu lösen sind. Kunst und Kultur stehen für Toleranz und Diversität – sie regen Auseinandersetzung und Mitsprache an. Genau das, was Dresden und Europa brauchen. Gestalten Sie mit uns die Zukunft für ein Dresden in Europa und für Europa in Dresden.

28.01.2019

Erbstücke – Festival zu Erbe und Tradition in der zeitgenössischen Kunst, #1 – 2019

Dresden und sein Erbe Das Wort Erbe ist im Deutschen mehrdeutig. Es bezeichnet einerseits den Gegenstand, der über Generationen weitergegeben wird, andererseits aber auch den Empfangenden dieses Gegenstandes sowie die Gesamtheit des – durchaus auch immateriellen – Kulturgutes, das potentiell über den Wert verfügt, weitergegeben zu werden. Das Wort steckt im Welterbe, im Erbschleicher, im Erbfeind genauso wie im Erbgut und im Erbstück. Letzteres wiederum kann ein gut gehüteter Familienschatz sein oder auch ein liebgewonnenes Andenken an eine vertraute Person, es kann aber ebenso eine große Last und ein Hindernis darstellen. Das macht den Begriff des Erbes so interessant und doppeldeutig – als ein komplexes Konglomerat verschiedener Begriffe und Bedeutungen, als Grundlage einer Kultur, aber auch als Machtstruktur und belastendes, einengendes Übel. Dresden, Hellerau und das Erbe Dresden lebt von seinem historischen Erbe aus verschiedenen Epochen und Zeiten, vielerorts definiert sich die Stadt auch sehr direkt aus diesem Erbe: als ehemalige Residenz- und Barockstadt, blühende Kulturstadt, Elbflorenz, aber auch als Ort des Feuersturms im Zweiten Weltkrieg und als Stadt der Wende um 1989. Der ehemalige Vorort Hellerau, die Deutschen Werkstätten und das Festspielhaus Hellerau – das heutige Europäische Zentrum der Künste – leben ebenso von und mit einem komplexen historischen Erbe: auf der einen Seite als Teil einer Gartenstadt, als architektonische und sozioökonomische Vision, als künstlerisches Laboratorium der Moderne, u.a. mit den Arbeit von Adolphe Appia, Émile Jaques-Dalcroze und Alexander von Salzmann, nach dem Mauerfall als Ort der Wiederbelebung der Darstellenden Künste und der zeitgenössischen Musik. Auf der anderen Seite prägt Hellerau aber auch seine langjährige Existenz als Ort der militärischen Nutzung im Zweiten Weltkrieg sowie nach 1945 als Kaserne und Turnhalle der Roten Armee der Sowjetunion. Erbe und Globalisierung Über allen diesen vorhandenen historischen Schichten liegt heute eine hochaktuelle gesellschaftliche Entwicklung, in der Dresden und Sachsen ebenfalls eine Hauptrolle spielen: Rechtsnationalistische Bewegungen reklamieren exklusiv für sich die Bewahrung eines angenommenen „deutschen Erbes“, das es gegen eine vermeintliche „Überfremdung“ zu schützen gilt. Das erweitert den Begriff des Erbes auf die politisch umstrittenen Begriffe Tradition, Identität und Heimat und stellt sie vor dem Hintergrund aktueller globaler Entwicklung radikal in Frage. Die entstehenden Fragen sind mannigfaltig: Was macht uns aus? Auf welches Erbe berufen wir uns und weshalb? Wer definiert, was aus einer Zeit als „repräsentativ“ und stilbildend überleben darf, was also vererbt werden soll und was nicht? Wie generiert und transformiert sich in einer von Migrationsströmen dominierten, globalisierten Welt kulturelles Erbe, wie kann eine Teilhabe an einem diversizierten kulturellen Erbe stattfinden, das sich aus mehreren Quellen speist? Ist kulturelle Identität festgefügt oder setzt sie sich vielmehr aus vielen Wurzeln zusammen? Kann sie wechseln, wie divers kann, darf sie sein? Ist es eine fixe Größe oder ewige Arbeit an sich und der Welt? Erbe und Darstellende Künste Diese Diskussion der globalen Dimension des Erbes ist nicht neu. Die gesamte postkoloniale Forschung und wichtige Kunstströmungen aus Lateinamerika und Afrika basieren auf solchen lebhaften, oft auch traumatischen Auseinandersetzungen mit dem Eigenen und dem Fremden. Die europäische Moderne selbst, deren Teil HELLERAU ab den 1910er Jahren war, bezog wichtige Impulse aus fernöstlichen und afrikanischen Ländern oder archaischen Kulturen, wie zum Beispiel Vaslav Nijinskys Choreografie zu „L’Après-midid’un faune“, die sich an altgriechischen Vasenbildern orientierte, oder die Theaterutopien Antonin Artauds, die das balinesische Puppentheater zum Ideal einer neuen Kunstmechanik erhoben. Dass viele dieser Einflüsse auch auf den grausamen Völkerschauen des zu Ende gehenden Kolonialzeitalters beruhten, zeigt die von Anfang an problematische Seite der kulturellen Übernahme und Beeinflussung. Vor einigen Jahren wurde das kulturelle Erbe des (deutschen) Tanzes in dem Projekt der Kulturstiftung des Bundes „Tanzfonds Erbe“ in den Fokus gerückt. Über mehrere Jahre wurden hier insbesondere Projekte gefördert, die der Rekonstruktion und Wiederentdeckung vergessener Episoden speziell der deutschen und europäischen Tanzgeschichte dienten, also dem „Fremden“ und „Verdrängten“ in der eigenen Historie. Dieses Projekt hat auch in Dresden einige Werke der Tanzgeschichte wieder ans Tageslicht gebracht, so zum Beispiel die Choreografien von Mary Wigman in dem Projekt „Kreis, Dreieck, Chaos“ des Villa Wigman für Tanz e.V. Dabei widersetzen sich Tanz und Performance als flüchtige Kunst „für den Augenblick“ an sich dem Begriff des Erbes. Weitergegeben werden kann höchstens das „Rezept“, die Schrittfolge, die Tradition. Aber was ist diese Tradition, was sagt sie uns heute, was können wir mit ihr anfangen? Ist es manchmal sogar besser, wie die Künstler*innen des russischen Konstruktivismus (und viele andere) alles zu negieren und auf einem weißen Blatt Papier neu in die Zukunft zu starten? Das Festival „Erbstücke“ kreist mit mehreren ganz unterschiedlichen künstlerischen Entwürfen um diese Fragen. Die spanische Choreografin Rocío Molina beispielsweise erforscht in ihrer Inszenierung „Caída Del Cielo“ die lange Geschichte des Flamencos als eine Geschichte der Befreiung (vor allem des weiblichen Körpers), während Eszter Salamon in „The Valeska Gert Monument“ in eine intime und fast schmerzlich intensive Zwiesprache mit einer nahezu vergessenen Zeitgenossin Mary Wigmans eintaucht und Forced Entertainment in ihrem sechsstündigen Klassiker „And on the 1000th night“ die Wurzel allen Erbes zelebrieren: das Geschichtenerzählen. Hermann Heisig hingegen legt die absurden, manchmal auch totalitären Wurzeln von Jaques-Dalcrozes rhythmischen Übungen bloß, und Alexandra Bachzetsis hinterfragt mit drei Darsteller*innen die Ursprünge der „orientalischen“ Rebetiko-Lieder in Griechenland und ihre Bedeutung für die heutige urbane Gesellschaft. Diese und weitere Positionen in „Erbstücke“ zeigen vor allem eines: Erbe ist in der Kunst ein dynamischer Begriff. Er impliziert Auseinandersetzung, er zeigt Veränderung in Ästhetiken und Ideen, er weist in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit. Das macht ihn wiederum als Ausgangspunkt so wertvoll für die künstlerische Produktion. Denn aus ihm entspringen die großen Fragen kreativer Arbeit: Wie gestalten wir unsere Welt, mit welchem Wissen, mit welchen Techniken und ästhetischen Entwürfen gelingt es uns, ein gemeinsames Leben zu entwickeln?

28.01.2019

Open Your Mind – Grenzenlose Improvisation, #1 – 2019

1Der Tanz-Battle OYM Dresden wird am 06.04.2019 in HELLERAU als Deutschland-Premiere in Kooperation mit The Saxonz stattfinden. Interview mit Alexander „Kelox“ Miller, Tänzer, Choreograf, Mitglied der Dresdner Breakdance-Crew „The Saxonz“ und Initiator des internationalen Experimental-Battles OYM Dresden. Die Fragen stellte André Schallenberg, Programmleitung Theater und Tanz in HELLERAU. Was bedeutet OYM? OYM bedeutet „Open Your Mind“. Es ist ein experimentelles Tanz-Battle-Format. Ziel ist es, unterschiedlichste Tanzstile zusammenzubringen und individuellen Formen, die nicht einmal klassifiziert sind, eine Plattform zu geben. Ob zu fünft, auf einer mit Würfeln vollgestellten Bühne, im Due mit einem Cellisten – OYM ist ein Battle, der von Improvisation und der Spontanität der Tänzer *innen lebt. Er testet die Fähigkeiten der Imagination und Abstraktion der Tänzer*innen in dem Moment, in dem sie die Bühne betreten. OYM entstand 2013 in St. Petersburg und entwickelte sich in den letzten fünf Jahren zu einem der angesagtesten Tanz-Battles im Bereich des Urbanen Tanzes. Mittlerweile findet OYM nicht nur in St. Petersburg (Russland), sondern auch in Eindhoven (Niederlande) sowie in Osaka (Japan) statt. 2019 wird OYM erstmals in Deutschland bei uns in Dresden veranstaltet. Zusätzlich gibt es auch erstmals eine UK-Edition in London. Die Gewinner*innen der jeweiligen Events werden als Jury oder Workshopleiter*innen zum nächsten Event eingeladen. Was unterscheidet OYM von anderen Battles? OYM lebt von einer magischen und intimen Atmosphäre. Diese entsteht nur, wenn man den Tänzer*innen die Möglichkeit gibt, in ihre Fantasie abzutauchen, ohne von Zeitbegrenzungen limitiert zu sein. Das Battle-Prinzip des Gegeneinander-Tanzens wird nach der ersten Runde dekonstruiert, alle weiteren Runden werden zu Kurz-Performances. Ein weiteres Merkmal ist die Interaktion mit Objekten und besonderen Bühnenelementen. Dazu will ich aber nicht zu viel verraten. Wie seht Ihr das Verhältnis von urbaner Szene und der sogenannten „Hochkultur“? Braucht es diese Unterscheidung heute überhaupt noch? HipHop und die drumherum entstandene „Urbane Szene“ in all ihren Facetten hat schon immer die Mode, die Popkultur, die Kunst und vielleicht auch die Hochkultur inspiriert oder sogar beeinflusst. Werke von StreetartKünstler*innen wie Banksy findet man schon lange in Museen, Tänzer*innen wie Rubberlegz, der seine Wurzeln im Breaking hat, tanzt mittlerweile für William Forsythe. Philip Chbeeb, lange in der Szene als Pacman bekannt, ist Gastchoreograf beim Nederlands Dans Theater NDT Amsterdam. Das sind nur einige Beispiele. Die Urbane Szene ist für mich schon längst in der Hochkultur angekommen, auch wenn das vielleicht nicht immer auf den ersten Blick sichtbar ist. Auch in Dresden und in HELLERAU gibt es viele Kooperationen. Wie ist euer Verhältnis zur freien zeitgenössischen Tanzszene in Dresden? Wir kennen uns alle hauptsächlich durch das Format „Floor on Fire“. Das hat die Tanzszene gut durchgemischt. Mit der go plastic Company entstand ein freundschaftliches Verhältnis. Hin und wieder unterstützen wir uns bei Projekten. Die Choreografin Cindy Hammer haben wir im letzten Jahr als Dozentin für Zeitgenössischen Tanz zu unserer HipHop-Woche eingeladen. Lehmi wiederum vertritt hin und wieder ihre Kurse, wenn sie gerade um die Welt fliegt, und ich durfte als Tänzer Teil der „Go West young men“-Produktion sein. Alles in allem ziemlich cool, ich hoffe da geht noch was.

28.01.2019

Weiblichkeit in Rosas danst Rosas, #1 – 2019

„Rosas danst Rosas“ ist in vielerlei Hinsicht eines der „Signature Pieces“ von Anne Teresa De Keersmaeker. 1983 vollendete sie mit dem Werk das choreografische Vokabular, das sie ein Jahr zuvor in ihrem Debüt „Fase“ entworfen hatte, und das den Beginn einer langen choreografischen Reise markierte. Beide Choreografien zeichnen sich durch minimalistische und abstrakte, in unzähligen Wiederholungen transformierte Bewegungen aus sowie durch eine hohe strukturelle Ernsthaftigkeit. Im Kontrast dazu spielt sowohl in „Fase“ als auch in „Rosas danst Rosas“ die körperliche Erschöpfung der Tänzer*innen eine große Rolle – die Stücke sind von einer intensiven Körperlichkeit und innerer Spannung durchdrungen, die ein Gegengewicht zur unerbittlichen, fast mathematischen Logik der Komposition bildet. Der Raum ist nach geometrischen Mustern gegliedert, eine Eigenschaft, die für Rosas‘ Kreationen seither von größter Bedeutung ist. […] „Rosas danst Rosas“ zeigt als besonderes Element eine Reihe alltäglicher Bewegungen wie Liegen, Sitzen, Laufen, Drehen und so weiter. Die zugrunde liegende dramaturgische Struktur folgt verschiedenen Momenten des Tages, wie Schlafen (im ersten Satz) oder Arbeiten (im zweiten). Auf den Ellenbogen lehnen, in einen Stuhl sinken, Beine kreuzen – das sind nur einige der Bewegungen, die einerseits für das Publikum leicht erkennbar sind, andererseits aber durch entfremdende Wiederholungsmuster wieder aus ihrem alltäglichen Zusammenhang herausgehoben werden. Das in der Choreografie dargestellte starke Frauenbild hat viele Kommentator*innen von Anfang an dazu veranlasst, dieses Stück als Vorreiter für einen Feminismus innerhalb des postmodernen Tanzmilieus zu postulieren. Auf die Frage nach dieser feministischen Konnotation hat De Keersmaeker selbst jedoch immer entschieden den assoziativen Zusammenhang geleugnet. „Es war nie unsere Absicht“, erwiderte sie, „große Erklärungen abzugeben oder Manifeste zu veröffentlichen“. Sie verweist auf den Titel des Stückes: „Wir tanzten uns selbst, mit unseren eigenen Erfahrungen. Ich fand es schwierig, eine solche Rekonstruktion unserer eigenen Erfahrung zu akzeptieren, nachdem die Kritiker das Stück in die Finger bekommen hatten.“ […] Der generalisierende Charakter eines feministischen Labels war nicht der einzige Grund, weshalb die Choreografin diese Zuschreibung für „Rosas danst Rosas“ immer ablehnte. „In den frühen 1980er Jahren hatte der Feminismus, glaube ich, einen stark parteipolitischen, kompromisslosen Charakter. Der einzige Weg, sich als Frau zu profilieren, war, sich wie ein Mann zu behaupten, und mit Härte oder gar Herzlosigkeit zu agieren. Es schien, als würden typische weibliche Eigenschaften nicht als gleichwertig mit männlichen angesehen, sondern ignoriert. Deshalb wollte ich nicht, dass ‚Rosas danst Rosas‘ ein solcher feministischer Unterton zugeschrieben wird, gerade wegen der minimalistischen Aspekte der Performance. Damals wurde dieser Minimalismus leicht mit einer strengen, kalten Distanz assoziiert.“ Eine solche Assoziation von „Minimalismus“ mit einem hartgesottenen Feminismus hat ihre Wurzeln in der Tanzgeschichte vor „Rosas danst Rosas“. […] Um die Jahrhundertwende erschienen eine Reihe von Frauen in der Tanzwelt, in der bis dahin lange Zeit ausschließlich männliche Choreografen ihre Ballerinas nach den vorherrschenden viktorianischen Standards geformt hatten. Gemeinsam mit den Suffragetten, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzten, traten die Choreografinnen Isadora Duncan und Loie Fuller primär mit dem Anspruch auf die Bühne, ihre eigenen, selbst erschaffenen Werke zu tanzen. In Kostümen, die es ihnen erlaubten, sich frei zu bewegen, stellten sie die Sichtbarkeit ihres Körpers in den Vordergrund und beanspruchten ihre persönliche Freiheit, Frauen als potenziell sinnliche Wesen zu präsentieren. Das Bild der jungfräulichen, fast immateriellen Sylphe verblasste als Symbol des modernen Tanzes. Später rebellierten die unabhängigen mythischen Heldinnen von Martha Graham gegen eine ähnliche Form der Unterdrückung. Wir tanzten uns selbst, mit unseren eigenen Erfahrungen. (Anne Teresa De Keersmaeker) Bei den Feministinnen der zweiten Generation in den 1960er und 1970er Jahren setzte sich jedoch eine andere Sicht durch. Mit dem ausgeprägten Bedürfnis, Weiblichkeit expliziter zu artikulieren, anstatt sie geradlinig zu postulieren, drohten zeitgenössische Vorstellungen von Weiblichkeit – so behaupteten diese neuen Autorinnen – Frauen zu bloßen Sexobjekten zu reduzieren, anstatt sie zu befreien. Choreografinnen wie Yvonne Rainer und Lucinda Childs zum Beispiel überarbeiteten das Erbe von Merce Cunningham und ersetzten Duncans üppigen Körper und Grahams gequälte Figur durch die Sehnsucht nach starken konzeptionellen Inhalten. In ihrer Version des postmodernen Tanzes standen die Geschlechterdiskussionen nicht mehr im Vordergrund. Damit markierten sie den Beginn eines abstrakten Formalismus, einer Denkweise, die intellektuell und formal arbeitet und nun auch von Frauen beansprucht wurde. De Keersmaeker hat den Einfluss von „Minimal Dance“-Theoretikerinnen wie Lucinda Childs, Yvonne Rainer und Trisha Brown nie geleugnet. Jedoch betonte sie immer, dass sich ein solcher Einfluss während des Entstehungsprozesses von „Rosas danst Rosas“ noch nicht offenbart habe. […] So unterscheidet sich ihre Vorstellung auch von den losgelösten, konzeptuellen Tanzformen, die versuchen, körperliche Intensität und das Vergnügen, das mit dem performativen Akt einhergeht, zu verbergen. Im Gegenteil: Mit fortschreitender Aufführung erlebt das Publikum bei De Keersmaeker nicht nur die zunehmende Erschöpfung, sondern auch die Freude, die daraus entsteht. Dies könnte die Wirkung dieser Arbeit und den anhaltenden Erfolg erklären. Ein Grund, weshalb „Rosas danst Rosas“ einen Wendepunkt in der Geschichte des Tanzes markiert, ist unter anderem die Art und Weise, mit der die Choreografin die Präsenz der Tänzerinnen auf der Bühne inszeniert. De Keersmaeker ist es gelungen, die Vorliebe für Formalismus und choreografische Konzepte mit einem Tanzvokabular zu verbinden, das eine deutlich feminine Neigung ausdrückt. So beschreibt sie auch die Inszenierung: „Auf der einen Seite steht die Verbundenheit mit dem Minimalismus, dem Konzeptuellen, Distanzierten. Andererseits spürt man auch eine recht ausgeprägte weibliche Körperlichkeit, die nicht ‚exhibitionistisch‘ ist, sondern ihr Existenzrecht einfordert. ‚Rosas danst Rosas‘ feiert die Weiblichkeit, ohne sie zu negieren, indem sie sie männlicher macht, aber auch nicht einfach ausnutzt.“ Wie bereits erwähnt, ist der feministische Blickwinkel nur einer von vielen, aus denen „Rosas danst Rosas“ interpretiert werden kann. Wie die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem viel beachteten Essay „We Should All Be Feminists“ schreibt, sollte sich der Feminismus heute jedoch mit der Frage beschäftigen, wie Frauen in ihrer Weiblichkeit respektiert werden können, ohne sich dafür entschuldigen zu müssen – Adichie will High Heels und Lippenstift ebenso genießen können wie Politik und Geschichte. Bei der Lektüre solch neuerer Beiträge wird schnell deutlich, dass „Rosas danst Rosas“ nichts von seiner Dringlichkeit verloren hat. Ein Nachfolge-Projekt wie „Re:Rosas“ verdankt seinen Erfolg zweifellos der großen Zahl von Menschen, die sich weiterhin mit einer Choreografie identifizieren, die das ganze Spiel der Verführung auf einfache Weise inszeniert und sich gleichzeitig von ihr distanziert. Durch die Ausführung verführerischer Bewegungen im Rahmen mathematischer Wiederholungen werden sie schließlich fast ironisch aufgeladen: Das Klischee wird besiegt. „Rosas danst Rosas“ bietet 34 Jahre nach seiner Premiere immer noch eine neue Vision von Weiblichkeit.

28.01.2019

Mehr Chaos, bitte! Zeitgenössische Musik und Kultur der Digitalität, #1 – 2019

Während sich das Kammermusikfestival 4:3 auf das Gemeinschaftliche und die neue Kultur der Digitalität vor allem in kleineren Formaten, in zarten oder intimen Bereichen fokussiert, wird TONLAGEN zeitgenössische Musik deutlicher mit großen Formaten, mit politischen, gesellschaftlichen und technologischen Fragen konfrontieren. Zunächst aber wird TONLAGEN vom 14.-24.03.2019 einen Blick zurück werfen: Bewusst wird eine Brücke zu den ursprünglichen Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik geschlagen, bewusst wird 30 Jahre nach dem Fall der Mauer vor allem die musikalische Vergangenheit Dresdens und Ostdeutschlands zentraler Programmpunkt sein. Am 16.03.2019 zum Beispiel wird die Elbland Philharmonie Sachsen die 5. Sinfonie von Wilfried Krätzschmar uraufführen, am 17.03. folgt ein Konzert von AuditivVokal mit Werken von Friedrich Goldmann, Georg Katzer, Agnes Ponizil u.a. Begleitend sind Veranstaltungen mit der Sächsischen Akademie der Künste, der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden und der Sächsischen Landesbibliothek geplant, die verschiedene Themenfelder zu Geschichte und Gegenwart der Musik in Ostdeutschland beleuchten. Dem Blick zurück folgt auch ein Blick nach vorn: Mit Projekten von Julia Mihály, Alexander Schubert oder Brigitta Muntendorf erhalten nicht nur aktuelle Künstler*innen, sondern auch eine neue Generation der zeitgenössischen Musik in HELLERAU eine Stimme. 1986 gründete der Komponist und Dirigent Prof. Udo Zimmermann das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik (DZzM) und entwickelte es bald zu einer der international bedeutendsten Einrichtungen für Neue Musik. 2004 wurde beschlossen, diese städtische Einrichtung zu einem Institut der zeitgenössischen Künste am Festspielhaus Hellerau weiterzuentwickeln und in „Europäisches Zentrum der Künste Hellerau“ umzubenennen. Auf dem Festspielgelände Hellerau, das ursprünglich als Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus von Tessenow erbaut worden war, arbeiteten seit der Initiative der „Europäischen Werkstatt für Kunst und Kultur Hellerau e. V.“ im Jahr 1992 eine Vielzahl von Vereinen, Künstlergruppen und belebten das Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf gefallene Gelände als wilde kreative Baustelle der Künste. Mit der Umwandlung des DZzM in das Europäische Zentrum der Künste Hellerau begann die Etablierung eines Instituts der zeitgenössischen Künste, insbesondere der Sparten Tanz, Theater, Musik sowie der neuen Medien. Anknüpfend an diese großen Traditionen und jüngeren Entwicklungen wird in HELLERAU in den nächsten Jahren neben Tanz und Theater vor allem auch die Musik stärker in den Mittelpunkt gerückt und gleichzeitig die Idee eines künstlerischen Labors und Experimentierfeldes wieder stärker betont werden. Dabei sind für uns zwei Punkte wichtig: Wir befinden uns in einer „Kultur der Digitalität“ (Felix Stalder), der „Themenkomplex Virtualität ist mittlerweile keine Sci-Fi-Vision mehr, sondern eine maßgebliche Größe in unserem Lebensalltag geworden“ (Alexander Schubert). Zeitgenössische Musik sollte und kann sich dieser Entwicklung nicht verschließen, allerdings sollten Neugierde und Kreativität und nicht bloße Affirmation oder unreflektierte Integration Kennzeichen einer Auseinandersetzung sein. Und vielleicht können gerade Musik, Klang und Rhythmus Schlüssel und Ausgangspunkte für eine kreative wie kritische Befragung des Zeitalters der Digitalität sein? Zukünftig werden sich in HELLERAU verschiedene Projekte, Festivals und Netzwerke explizit mit internationalen künstlerischen Positionen und Entwicklungen der Medien- und Technologiewelt auseinandersetzen. Zentrale Position nehmen dabei die beiden Formate „4:3 Kammer Musik Neu“ und „TONLAGEN – Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik“ ein. Hier werden nicht nur aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Musik und Medien beleuchtet, sondern auch ein zweiter wichtiger Punkt etabliert: die Bedingungen der Produktion. HELLERAU war in seiner Gründungsphase vor allem eines: eine Gemeinschaft von kreativen Menschen. Wir wollen an diese Idee anknüpfen und in den nächsten Jahren mit lokalen wie internationalen Ensembles und Künstler*innen eine „Community of Practice“ als Gemeinschafts- und Arbeitsmodell für zeitgenössische Musik und Medienkunst entwickeln, die selbst „Scheitern als Chance“ (Schlingensief) begreift.

Mehr Chaos, bitte! Zeitgenössische Musik und Kultur der Digitalität

Von Brigitta Muntendorf (*1982), Komponistin Museal oder vital – die Neue Musik entscheidet selbst Wenn ich die derzeitigen Verschiebungen im künstlerischen Schaffen, insbesondere in Bezug auf Verständnis von Interpretation und Ensemble, auf die Rolle der Rezeption und Programmierung in der zeitgenössischen Musik denjenigen Verschiebungen gegenüberstelle, die sich während der gerade stattfindenden digitalen Revolution in Gesellschaft und Kultur abspielen, dann steckt die zeitgenössische Musik mitsamt ihren Apparaten noch in den Kinderschuhen. Wir befinden uns in einer Kultur der Digitalität, d.h. in der Durchdringung des Analogen, des Physischen und Materiellen mit digitalen Infrastrukturen. In dieser fundamentalen Wechselwirkung (in Anlehnung an die vier Grundkräfte der Physik) generiert der ungehinderte Transfer neue Arbeits-, Produktions- und Rezeptionsprozesse wie auch die immer wieder neu zu verhandelnde Konstitution und Koordination persönlichen und kollektiven Handelns. Referentialität als Kommunikationsform, die Herausbildung neuer Gemeinschaftsmodelle im Spannungsfeld von Singularität und Diversität und die konkrete Auseinandersetzung mit dem rezipierenden Subjekt als die Sichtbarmachung von Idee und Resonanz, sowie Algoritmizität bilden dabei die vier wichtigsten Spannungsfelder für soziale und kulturelle Entwicklungen. Die Zukunft der Neuen Musik, ihre Relevanz in künstlerischer und sozialer Hinsicht entscheidet sich daran, ob sie sich innerhalb oder außerhalb dieser Prozesse verortet und ob Schaffende, Interpretierende und Fördernde bereit sind, bestehende Strukturen nicht nur zu erweitern, sondern grundlegend neu zu denken. Andernfalls liegt es auf der Hand, dass sie ihr Dasein als museale und künstlich am Leben gehaltene Kunstform fristet, in der die innewohnende Widerständigkeit als höchste Form der Anpassung in einem kultivierten und abgeriegelten Diskurs über Gesellschaft und Kultur erscheint. Komponieren in Referenzsystemen: Publikum und Performanz Dass Komponist*innen und Interpret*innen, insbesondere der jüngeren Generation, heute zunehmend interdisziplinär, davon einige auch interaktiv und ein noch kleinerer Anteil kollektiv arbeiten, hat in der Neuen Musik noch immer singulären und phänomenologischen Charakter. Das ist daran erkennbar, dass die Einbeziehung von Elektronik, Projektionen, performativen Elementen, speziellen Bühnen- und Aufführungssituationen und die für die Realisierung benötigten Probenkapazitäten die Konfiguration von bestehenden Ensembles und ihrer Probenorganisation, wie auch die meisten Festivals in ihrer Ausstattung und Programmierung an strukturelle und finanzielle Grenzen stoßen lassen. Spannend ist zu beobachten, wie Komponist*innen und Ensembles sich zunehmend Plattformen außerhalb der Neuen Musik Szene erschließen oder eigene Produktionsstrukturen entwickeln. Gleichermaßen beschreibt die zu beobachtende Entwicklung hin zu transmedialen, digitalen, theatralen und performativen Produktionsformen ein kontextorientiertes Verständnis von Musik, das sich auf Basis von referentiellen Verfahren konstituiert. Referentielle Kunst hat zur Bedingung, dass die Quellen und Bedeutungen des gesamten künstlerischen Apparates sichtbar gemacht werden – die Verortung in der Gegenwart und in Wechselwirkung mit Tradition und Kontext erzeugt somit Performanz. Die massive Verschiebung in der Rollenzuschreibung von Autorenschaft und Publikum zeigt sich hier ganz deutlich. Das rezipierende Subjekt kann nicht mehr ignoriert werden, wenn das Erleben der kollektiven Rezeption Performanz und Sichtbarmachung einer künstlerischen Haltung voraussetzt. Plädoyer für die Community of Practice Die Community of Practice ist als Gemeinschaftsmodell für die Kreation deshalb so spannend, weil sie ein dynamisches Praxisfeld beschreibt, in dem Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten zugunsten eines definierten Zieles zusammenkommen und Kreation und reflexive Interpretation Hand in Hand gehen. Für die zeitgenössische Musik würde ein solches Arbeitsmodell vielen derzeitigen Entwicklungen Raum für Entfaltung bieten und die künstlerische Qualität interdisziplinärer Arbeiten anheben. Wenn man also das Spannungsgefüge Referentialiät, Gemeinschaft, rezipierendes Subjekt und Algoritmizität auf seine Grundkräfte hin untersucht, dann treten das Chaos der Informationen und das Herstellen von sozialer Bedeutung in Wechselwirkung. Die meisten Förderstrukturen im Bereich der zeitgenössischen Musik lassen Chaos gar nicht erst zu. Ich behaupte sogar, dass Chaos als kreative Grundlage für das lebendige Experiment im Schaffens- und Erarbeitungsprozess, sowie als struktureller Bestandteil von Festivals und Institutionen verhindert wird. Verhindernd wirkt dabei z.B. das institutionelle Aufrechterhalten von Schöpfermythen oder die Festlegung von Förderbedingungen, in denen Kunst und Musik von außen auferlegt wird, sozialpolitische Aufgaben zu übernehmen, ohne darauf zu vertrauen, dass Künstler*innen denkende und reflektierende Individuen sind. Die digitale Revolution zeigt uns gerade, in welchem Maße chaotische, nicht-lineare und reziproke Prozesse Kreativität, Produktivität, Gemeinschaftlichkeit, Resonanz und Lebendigkeit hervorbringen. Ob in der Neuen Musik lebendige, kollektive und dialogische Formate künstlerisch und strukturell – wie in der Community of Practice – etabliert werden, bestimmt, ob wir zukünftig in einer vitalen und gegenwärtigen oder musealen, für die Gegenwart irrelevanten Musikkultur agieren.

28.01.2019

Erschöpfung als Strategie – Meg Stuart im Interview, #1 – 2019

Hans Ulrich Obrist im Gespräch mit der Choreografin Meg Stuart über Rituale, Improvisation und Ekstase. Gekürzte Fassung; der vollständige Artikel erschien im Magazin der Kulturstiftung des Bundes # 30 Frühjahr/Sommer 2018 Hans Ulrich Obrist: Ekstase, Transzendenz und Ausdauer sind spannende Themen, weil ich denke, dahinter steckt die Idee, dass Kunst eine Art Portal ist, durch das man hindurch muss. Aber erstmal möchte ich dich fragen, wie es bei dir alles anfing. Wie bist du zu Tanz und Choreografie gekommen, gab es da eine Art Erweckungserlebnis? Meg Stuart: Ich bin im Theater aufgewachsen, das spielte sicherlich eine große Rolle. Meine Eltern sind beide Theaterregisseure. Viele Theaterstücke zu sehen, Tänzer und Schauspielerinnen genau beobachten zu können, das hat Eindruck hinterlassen. Aber irgendwie wollte ich nie mitspielen, keine Charaktere darstellen, sondern ich wollte ich selbst sein. Zunächst habe ich viel Sport gemacht, bin gelaufen, das Körperliche war wichtig, und so kam es, dass ich mich immer mehr dem Tanz angenähert habe, und irgendwann ließ ich das Laufen sein. Und dann bin ich in einen Tanzkurs in der High School gegangen, in dem es nicht darum ging, zu lernen, sich wie andere zu bewegen – obwohl ich auch das getan habe –, sondern eigentlich um Choreografie. Da habe ich choreografische Studien gemacht – stehend, sitzend, liegend –, habe die einzelnen Körperteile, den ganzen Körper rauf und runter untersucht. Und dann fing ich irgendwie an, mir Tänze auszudenken, bevor ich wirklich wusste, wie man tanzt. Ich hatte keine Technik, die ich später wieder hätte verlernen müssen, sondern musste vielmehr eine Struktur und Technik um mich herum erst aufbauen, um die Dinge umzusetzen, die ich mir vorgestellt hatte. Ich habe damals alternative Techniken ausprobiert, aber natürlich auch die „modernen Meister“ studiert: Cunningham, Graham, Limón. Ich weiß nicht, ob man das eine Offenbarung nennen kann, aber so habe ich angefangen. HO: Du kommst ursprünglich aus New Orleans … MS: Ja, ich stamme aus New Orleans, aber meinen Durchbruch als Künstlerin hatte ich beim Klapstuk Festival in Belgien mit „Disfigure Study“ (1991), da war ich 26 Jahre alt. Bis dahin hatte ich schon eine Reihe von kleineren Studien in New York gemacht, die dann in „Disfigure Study“ zusammenkamen. Mit diesem ersten abendfüllenden Stück hatte ich dann einen Fuß in der europäischen Szene. HO: Deine eigene „Sprache“ hast du also erst in Belgien wirklich gefunden. Das erste Stück von dir, auf das ich aufmerksam wurde, war „No Longer Readymade“ (1993). Das traf auf große Resonanz in der Kunstwelt. Was hatte es mit „No Longer Readymade“ auf sich? MS: Es war mein zweites Stück, und vielleicht entstand es aus einer Krise heraus. Ein zweites Werk machen, während ich auf Tournee mit dem ersten war, sehr schnell viel Aufmerksamkeit bekommen, aus New York wegziehen und in die europäische Festivalszene reinkommen – das war ganz schön viel auf einmal. Das Kernstück dieser Arbeit ist ein Solo. Ich grabe mich durch den Müll in meinen Taschen, Quittungen und Münzen und solche Sachen, ich schütte sozusagen die Überreste eines Lebens auf den Boden. […] diesmal war es eine ganz neue Beschäftigung mit der Frage: Here I am, what now? […] Es war das erste Mal, dass ich physische und emotionale Körperzustände erforschte. Das Stück beginnt damit, dass der Tänzer, Benoît Lachambre, seinen Kopf für etwa 4 1⁄2 Minuten heftig schüttelt und dann fieberhaft gestikuliert. Dann fängt er wieder an zu zittern und macht das Ganze rückwärts. Er ist völlig außer Kontrolle, er verschwimmt wie in einer Art Bruce-Nauman-Video, er geht an seine Grenzen, aber er artikuliert sich in diesem Wahnsinn. Als wir anfingen, diese Szene zu proben, übergab er sich im Studio. Erst nach vielen Proben war er schließlich imstande, sie durchzuführen. Es war das erste Mal, dass ich mich für Fieber oder Schweiß interessierte – könnte das eine „Sprache“ sein? Wie nutzen wir diese Art von unfreiwilligen Körperreaktionen als Tanzmaterial? So begann ich, mit physischen und emotionalen Zuständen choreografisch zu arbeiten. HO: Dieses Stück scheint über das Rationale hinauszugehen, irrationale Kräfte kommen ins Spiel. Andrej Tarkowskij sagte einmal, dass wir Rituale wieder einführen müssen, weil sie in der modernen Welt verschwunden seien. Interessant ist, dass Ekstase in indigenen Kulturen und auch in einem rituellen Kontext als etwas sehr Positives angesehen wird. Aber im Kapitalismus und in unserer globalisierten Welt hat man irgendwann angefangen, sie negativ zu konnotieren. In deiner Arbeit hat sie eindeutig eine positive Konnotation. Ich habe mich gefragt, wann das in deine Arbeit eingeflossen ist. Als du damit anfingst, muss das ziemlich ungewöhnlich gewesen sein, oder? MS: Ich denke, aus westlicher Perspektive sind Rituale Dinge, die wir aus Gewohnheit tun, wenn auch nicht aus freien Stücken, aber wir sind ständig mit Ritualen beschäftigt. Wir erschaffen sie für uns selbst – wir sind gezwungen, bei denen der anderen mitzumachen, wir sind ständig von Ritualen umgeben. Es geht also darum, sie anzuerkennen, aber auch, sie neu zu erfinden. Wir werden täglich von dem beeinflusst, was wir sehen, unser Bewusstsein wird mit Informationen überschwemmt. Die Frage ist, wie gehen wir damit um, wie machen wir uns davon frei, welche Gedanken gehören uns, welche nicht, und wie können wir mit diesen Kräften arbeiten? […] HO: Sehr beeindruckend ist auch dein Stück „Until Our Hearts Stop“ (2015), das ich in London sah. Das hat auch mit diesem anderen Zustand zu tun. Denn dort benutzt du, wie auch in den früheren Stücken, oft den Begriff der Erschöpfung, und wie Erschöpfung zu einem transzendentalen Zustand führen kann … Erschöpfung ist entweder ein Wunsch oder ein Problem, aber sie kann auch eine Strategie sein, um Kunst zu machen. MS: … oder zu einem Nervenzusammenbruch (lacht). Aber ich glaube, dass wir auch gerne erschöpft sind, ich glaube, dass Erschöpfung ein Zustand des Im-Moment-Seins ist, es ist unser neoliberaler Modus, diese Idee des Immer-Arbeitens. Es geht auch darum, durch die Erschöpfung hindurchzugehen, um einen höheren Bewusstseinszustand zu erreichen, wo subtilere Frequenzen mitschwingen. Erschöpfung ist entweder ein Wunsch oder ein Problem, aber sie kann auch eine Strategie sein, eine Strategie, um Kunst zu machen. Du sagst zu jemandem: Sieh dir das an, sieh es dir an, jetzt sieh es dir nochmal an, und wieder … nein, dieses Bild ist noch nicht fertig. Diese Intensität, diese Besessenheit, in der man die Zeit dehnt und die Menschen dadurch zwingt, hyperpräsent zu sein – darin sehe ich im Moment die Verantwortung der Kunst. Darauf zu insistieren, dass wir uns darüber Rechenschaft ablegen, wo wir sind. HO: Wo siehst du die Grenze zwischen Tanz, der auf der Bühne zur Aufführung kommt, und rituellen Praktiken, wie die der Schamanen oder Shakers, die jenseits einer Bühne stattfinden? MS: Beim Tanz auf der Bühne werden eine Reihe von Prinzipien oder Regeln mit einem Publikum geteilt. Bei schamanischen Praktiken und Ritualen geht es um bestimmte Ziele und das Wohl der Gemeinschaft. Schamanen werden von Geistern in andere Welten geführt, um Menschen aus der Gemeinschaft zu heilen. Das ist ein Dienst an der Gesellschaft. Wenn Menschen am Wochenende in Clubs feiern gehen, dann ist das eine Art improvisiertes Tanzritual, bei dem es um Begegnung, Loslassen und gemeinsam erlebte Momente der Ekstase geht. Dennoch herrscht sogar an Orten wie dem Berghain in Berlin ein relativ starrer Verhaltenskodex. Ich kann mir deshalb gut vorstellen, dass es in Zukunft immer mehr hybride, undefinierte, offene Orte geben wird, an denen man gemeinsam tanzen, loslassen, sich artikulieren kann und dadurch Strategien der Bewältigung und Heilung schafft. Ich hoffe, dass der Tanzkongress in Dresden so ein lebendiger, unkonventioneller Ort wird für kollektives Handeln und gemeinsame Ziele. Es wird eine fünftägige Zusammenkunft sein, die sich verworren und magisch zusammensetzt, die als eine Art soziale Choreografie funktioniert, innerhalb derer man sich trifft, austauscht, streitet und verändert. Ein dekonstruierter Rave und andere Formen des sozialen Beisammenseins und Tanzens sind da r essenziell. Der Rave müsste frühmorgens in der riesigen Halle in Hellerau beginnen. Er ist dann ein aufgeladener politischer Ort, wo die Konventionen des Nachtlebens keine Bedeutung haben. Ein Raum, in dem die Leute sich ganz unbefangen äußern können, weil es eine andere Art der Empfänglichkeit gibt. In dieser riesigen Höhle möchte ich etwas schaffen, das im Fluss ist, das die Gangart wechselt, so dass die Musik irgendwann langsamer wird, dann ganz abbricht, und ein anderer Raum zum Vorschein kommt, in dem man auf andere Weise präsent ist und sich zuhört. HO: Der Tanzkongress ist auch eine Art utopisches Unterfangen. Es gab nicht viele Kongresse dieser Größenordnung – in der Weimarer Republik in den Jahren 1927, 1928 und 1930. Was wird es beim Tanzkongress für Rituale geben? MS: Ich interessiere mich gerade sehr für das Monte-Verità-Treffen in der Schweiz von 1917, bei dem Spiritisten, Anarchisten und Künstler auf diesem Berg zusammenkamen, um über alternative Lebensmodelle zu diskutieren. Beim ersten Tanzkongress 1927 wurde heftig über Dinge und Definitionen gestritten, die heute undenkbar sind, zum Beispiel was Tanz überhaupt ist, wie ein Tänzer zu sein hat oder welchen Nutzen der Tanz hat. Es ist auch immer wieder die Rede von der großen Party am Ende, bei der alle zusammenkamen. Da wäre ich gern dabei gewesen! Mich interessiert die gesellschaftliche Dimension von Tanz, Tanzgeschichte, heiligen Tänzen, kontemplativer Musik und Darstellungen, Kampfkunst. Mir ist wichtig, dass der Tanz nicht nur das Aufwärmen für den Diskurs-Teil ist, sondern dass beide in dasselbe Format integriert sind. HO: Ich beschäftige mich gerade mit dem Phänomen der Tanzwut, auch Choreomanie oder Veitstanz genannt, das im 14. und 15. Jahrhundert in Europa auftrat. Ganz normale Leute in den Städten, nicht professionelle Tänzer, tanzten und tanzten, bis sie vor Erschöpfung umfielen. 1374 gab es so einen Ausbruch in Aachen. Wäre es nicht toll, wenn in Dresden die Tanzwut ausbräche? MS: … oder eine Redewut! Wenn ich meinen Bewusstseinszustand ganz schnell ändere und meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes außerhalb des gegenwärtigen Moments richte, habe ich das Gefühl, die Gesetze von Zeit und Raum außer Kraft zu setzen, mich durch andere Dimensionen zu bewegen. Ich glaube, es gibt eine Wahrheit, zu der man durch Körpertechniken gelangt. Tänzer wissen das, aber das sollte auch in anderen Bereichen verstanden werden: wie bestimmte Bewegungen unser Bewusstsein verändern. In Hellerau gibt es diesen großen Gartenbereich und ich hoffe, dass wir dort gemeinsame Rituale schaffen können, zum Beispiel um zusammen zu kochen und andere Formen des Austauschs zu erproben. Es wird sicher verschiedene Formen des Zusammenkommens und Feierns geben, aber auch des Zusammenkommens und Trauerns. Dresden wird keine fünftägige Party sein. Der Kongress wird eine Dramaturgie haben, in der Platz ist für die verschiedensten Dinge, für Meditation und Bewegung, aber auch für Gespräche über gewaltfreie Kommunikation zum Beispiel und Gerechtigkeit, oder über die Kraft der Gedanken.   Meg Stuart, 1965 in New Orleans (USA) geboren, ist Tänzerin und eine weltweit bekannte Choreografin. 2018 erhielt sie den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig für ihr Lebenswerk sowie den Deutschen Tanzpreis für herausragende Interpretinnen. Damit wurde ihre herausragende Rolle für die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes gewürdigt. Die Kulturstiftung des Bundes konnte Meg Stuart gewinnen, die künstlerische Leitung für den alle drei Jahre stattfindenden Tanzkongress, der 2019 in Dresden ausgerichtet wird, zu übernehmen. Meg Stuart lebt und arbeitet in Berlin und Brüssel. Hans Ulrich Obrist, 1968 in Weinfelden (Schweiz) geboren, ist ein weltweit renommierter Kurator für zeitgenössische Kunst. Seit 2016 ist er Artistic Director der Serpentine Gallery in London. Obrist betreibt seit mehr als 15 Jahren sein „Interview Project“, eine umfangreiche Kollektion von Interviews mit Künstler*innen, Musiker*innen, Architekt*innen und Filmschaffenden.

21.01.2019

POST-INTERNET-TANZ Aus dem virtuellen Raum in die Realität und zurück, #1 – 2019

„Post-Internet-Kunst geht von Künstler*innen aus, die in den sozialen Medien ihr Zuhause sehen und deren Abhängigkeit von Suchmaschinen inzwischen unumkehrbar ist, die ein Macbook als Studio nutzen und ihr Smartphone immer in Reichweite haben. (…) Wir können in diesem Sinne auch nachvollziehen, dass es eine ewige Hin- und Herbewegung zwischen Realität und Virtualität gibt.“ Benoit Lamy de la Chapelle, “De l’art post-internet” Der Begriff „Danse Post-Internet“ oder Post-Internet-Tanz ist eine Neuschöpfung von (LA)HORDE , die sich auf den gleichnamigen Begriff im Bereich der zeitgenössischen Kunst bezieht. Der Begriff „Post-Internet“ bezeichnet unsere Praxis sehr genau. Wir kreieren neue Gesten und Choreografien, die nicht an einen bestimmten Zeitrahmen gebunden sind, und sich auch nicht nur von YouTube-Videos inspirieren lassen. „Post-Internet“ bedeutet in unserem Fall, dass der Körper sowohl in virtuellen als auch in realen Räumen auf je unterschiedliche, aber vergleichbare Weise agiert. Aus tänzerischer Sicht hat dieser neue Raum des Selbstausdrucks viele Menschen dazu veranlasst, sich zu Hause zu filmen, zu tanzen und dann die Videos in den Sozialen Medien zu teilen, was eine sehr starke, mutige Aussage in Bezug auf die Repräsentation von sich selbst ist. Die Post-Internet-Kunst hat es uns auch ermöglicht, Zugang zu sehr spezifischen Tänzen zu erhalten, wie z.B.: traditionelle Tänze, Tutorials oder Tänze, die im Internet geboren wurden, wie eben der Jumpstyle, auf den wir uns gerade konzentrieren. Jumpstyle ist ein Electro-Dance-Stil und Musikgenre, das heute in Osteuropa sowie in einigen Teilen Australiens und den Vereinigten Staaten sehr beliebt ist. Jumpstyling wird oft als „Jumpen“ bezeichnet: eine Kombination aus dem englischen Wort „Jump“ und dem niederländischen und deutschen Suffix „-en“. Jumpstyle entstand 1997 in Belgien, wurde aber in den 2000er Jahren in seinem Nachbarland, den Niederlanden, sehr beliebt. Der Jumpstyle ist auch ein Tanz, den man im Internet entdecken kann und der meist allein im eigenen Zimmer geübt wird. Er ist sehr intensiv und körperlich anstrengend für die Tänzer*innen, eine Jumpstyle-Sequenz dauert nur etwa 25 Sekunden. Die „Jumper*innen“ mobilisieren dafür all ihre verfügbare Energie, um eine Improvisationssequenz zu durchlaufen. Das Ergebnis ist ein sehr kraftvoller Stil, der direkt gegen die eigene Frustration angeht. Am Ende eines Solos sind die „Jumper“ außer Atem, aber auf eine friedvolle Art, voll innerer Kraft, Ruhe, Selbstvertrauen und Trotz. Die „Jumper*innen“ filmen ihre Choreografie und veröffentlichen sie im Internet, um ihre Leidenschaft, aber auch ihren Fortschritt mit ihrer Community zu teilen. Die Schritte, denen die „Jumper*innen“ folgen, sind meist dieselben: Die ersten Videos werden direkt in den Jugendzimmern gedreht, dann folgen die Wohnzimmer oder andere größere Bereiche, dann ziehen sie in den öffentlichen Raum. Hier kann man die Entwicklung von privat zu öffentlich leicht erkennen. Diese Praxis verbreitet sich dann in sozialen Netzwerken, in denen die Community mit Kommentaren reagiert und eigene Videos hinzufügt. In Online-Turnieren und virtuellen Kämpfen werden Ligen gebildet, Gruppen treten gegeneinander an und treffen sich in verschiedenen Städten Europas. In der Zusammenarbeit mit der Community und den Tänzer*innen ist uns immer klar, dass wir mit realen Vorgängen arbeiten und sie in eine (Theater-) Fiktion verwandeln. Es ist uns ethisch und politisch sehr wichtig, diese kulturelle Aneignung zu benennen, wenn wir mit einer bestehenden Gemeinschaft zusammenarbeiten. Die „Jumper*innen“, die selbst choreografieren und tanzen, betrachten uns als Analyst*innen ihrer Bewegung. Sie wissen, dass wir sie respektieren und mit ihnen zusammenarbeiten, damit wir gemeinsam eine neue Geschichte schreiben können – eine Fantasiewelt, in der Jumpstyle das Zentrum bildet. „TO DA BONE“ ist Teil eines langfristigen Projektes, das (LA)HORDE vor einigen Jahren mit der Hardcore-Szene begonnen hat. Aus diesen Themen entstanden zuvor bereits zwei Produktionen. „TO DA BONE“ wurde mit „Jumper*innen“ aus Frankreich, Kanada, Ungarn, Holland, Polen und der Ukraine erarbeitet. Alle Beteiligten wurden zu mehreren Residenzen in unterschiedlichen Ländern eingeladen, um abseits des virtuellen Raums gemeinsam neue Inspirationen und Stile auszuprobieren. Das Kollektiv (LA)HORDE wurde im Jahr 2011 von den Künstler*innen Marine Brutti, Jonathan Debrouwer und Arthur Harel gegründet. (LA)HORDE ist ein facettenreiches kreatives Kollektiv, das sich mit Inszenierung, choreografischer Gestaltung, Filmproduktion, Videoinstallation und Performance beschäftigt. Durch die Erforschung verschiedener künstlerischer Ansätze, insbesondere in den Bereichen Live Art und zeitgenössische Kunst, zielt (LA)HORDE darauf ab, Werke zu schaffen, die unabhängig von der jeweiligen medialen Plattform kreativ und kulturell relevant sind.

03.01.2019

Wie lassen sich Alltagsgeräusche in eine Partitur übertragen? – Interview mit John Moran (US/DE) zu „everyone“

Am 17.01.2019 feiert die jüngste Produktion „everyone“ von John Moran (US/DE) in Dresden Premiere. Vorab haben wir dem Künstler einige Fragen zu seiner Arbeit gestellt: Was hat dich zu „everyone“ inspiriert? Ich wollte noch eine weitere Arbeit schaffen, bevor ich sterbe, die – so hoffte ich – einen Musik- und Theaterstil perfekt beschreiben würde, dem ich mein Leben lang gewidmet habe. Ich sage das mit einem Augenzwinkern, denn ich denke, ich könnte das Gleiche für jedes Stück sagen, das ich in den letzten 30 Jahren geschrieben habe. Aber genau diese Einstellung hatte ich, als ich an „everyone“ gearbeitet habe. Ich würde sagen, dass das Werk eine persönliche Reflexion über den Tod ist und gleichzeitig ein Überblick über meine musikalischen sowie theatralischen Techniken. Was wir in „everyone“ schaffen, sind theatralische Übersichten über verschiedene Leben, von der Geburt bis zum Tod, und den Kampf gegen die Schwerkraft. Diese werden wiederum als musikalische Kompositionen präsentiert. Du schreibst, dass „everyone“ aus präzisen Abfolgen von Gesten und Bewegungen besteht, die die Darsteller*innen in vollständiger Synchronität zu vorher aufgenommenen Stimmen und Geräuschen ausführen. Was genau können sich die Zuschauer*innen darunter vorstellen? Das Publikum wird zunächst feststellen, dass seine internen Rhythmen oder seine „Denkfrequenz“ auf ein gemeinsames Tempo ausgerichtet sind. Es gibt viele technische Aspekte, die in die Entstehung dieses Effekts mit einfließen, jedoch nicht wirklich nachvollziehbar sind und vom Publikum oft als ein Gefühl des „Highseins“ beschrieben werden. Innerhalb dieses hypnotischen Zustandes bekommt das, was wir auf der Bühne untersuchen, scheinbar einen größeren Sinn. Was aber wirklich passiert ist, dass die Techniken der Arbeit das Gefühl des persönlichen Gedächtnisses wiedergeben. Um diesen Effekt zu erzeugen, müssen sich die Darsteller*innen als Teil dieser Illusion in enger Synchronisation mit dem Soundtrack bewegen. Und ich denke, dass das Publikum die Tänzer*innen – Jule Oeft, Kristin Mente und Yamile Navarro – so talentiert in Ausführung und Technik zu sehen bekommt, dass sie oft vergessen, wie der Effekt zustande kommt. Aus wieviel Material an Soundaufnahmen wurde schlussendlich „everyone“ herausgefiltert? „everyone“ ensteht, wie alle meine Werke, aus Tausenden von kurzen Klangbeispielen, die so manipuliert werden, dass sie wie eine einzige, kontinuierliche Aufnahme klingen. Aber im Allgemeinen ist jeder Schritt, jedes Wort oder sogar jeder Atemzug einer Figur, die präsentiert wird, eine separate Aufnahme. Das sind Klänge, die ich über Jahrzehnte hinweg katalogisiert habe. Wenn ich also einen Charakter oder eine Situation brauche, um eine bestimmte Aktion zu zeigen, kann ich das aus den richtigen, individuellen Klängen zusammensetzen, anstatt nach einer kompletten Aufnahme mit diesen Qualitäten zu suchen. Zum Beispiel, wenn Performer*innen gehen, habe ich Tausende von verschiedenen Schritten zur Auswahl. Danach habe ich viele verschiedene Arten von Böden und Oberflächen, die auch Geräusche machen, wenn sich eine Figur bewegt. Türen, Vögel, Autos aller Art und in allen möglichen Abständen vom Mikrofon. Ich arrangiere diese Klänge auf einem Keyboard, sodass ich dann lernen kann, sie als musikalische Phrasen zu spielen. Ich beschreibe also realistische Ereignisse und mache auf diese Weise Theater, aber ich mache das als Komponist. Wie lassen sich Alltagsgeräusche überhaupt in eine Partitur übertragen? Zu Beginn meiner Karriere in den 1980er Jahren lernte ich von Komponisten wie Steve Reich und seinen frühen Tape-Loop-Experimenten, dass alle Sounds Rhythmen und Tonhöhen haben. Ein Kollege von Reich, Phil Glass, war mein Mentor in New York, und er war ebenfalls für längere Wiederholungszeiten bekannt, wenn auch nicht mit Tonaufnahmen, sondern mit instrumentalen Phrasen. Was ich tun wollte, war, diese strukturellen Ideen zu übernehmen und sie nicht nur auf ein Klang- oder Musikmuster, sondern auch auf eine virtuelle Umgebung anzuwenden. Und in diesen Tagen, zu Beginn meiner Karriere, gab es keine computerbasierten virtuellen Realitäten. Aber ich strebte nach dem, was ich als virtuelle Realität definieren wollte, bevor dieser Begriff erfunden wurde. Mein stärkerer Einfluss als Komponist war eine Kindheitsstudie über Disney-Animationen und meine Liebe zu den Attraktionen in Disneyland. Und so verbringe ich meine Zeit damit, Hunderte von Einzelklängen zu organisieren, um bestimmte Orte und Situationen zu definieren, die ich mir vorstelle. Und dann setze ich all diese Klänge in Sequenzen in einem Tempo, sodass die Ereignisse, die ich schaffe, sowohl realistisch in dem sind, was sie beschreiben, als auch im theatralischen Sinne und als musikalische Komposition. Durch die Rhythmen und Melodien werden realistische Ereignisse präsentiert. Da die Performer*innen, die sich wie Pantomimen verhalten, diese Klangbilder als musikalische Partitur erlernen und das fehlende Bild dessen, was die Klänge beschreiben, bereitstellen, wird dies zusätzlich zu einer Tanzform. Es ist also eine Form von Musik, Theater und Tanz, in der alle diese Kunstformen als ein Ausdruck entstehen. Wie bist du als New Yorker nach Dresden gekommen? Und was hat Dresden, was New York nicht zu bieten hat? Das erste Mal kam ich aus Bangkok nach Dresden, wo ich zwischendurch ein Musikstudio hatte. Das zweite Mal, als ich nach Dresden kam, kam ich aus Glasgow, Schottland. Die Leute nennen mich oft einen New Yorker, weil die ersten 20 Jahre meiner Karriere dort passierten. Aber ich verließ Amerika bereits 2004, als mir ein Artist-in-Residence-Programm für die Stadt Paris angeboten wurde. Nach zwei Jahren kehrte ich für kurze Zeit wieder nach New York zurück, fühlte aber, dass der Kapitalismus einfach etwas geworden war, was mir nicht gefiel, und fand heraus, dass die Menschen in Europa und Großbritannien mehr verstanden, was ich tat. Also verließ ich Amerika wieder, um ein nomadisches Leben zu beginnen. Ich wollte nur die Freiheit von Amerika. In den nächsten 10 Jahren ging ich jeden Monat von einem Land zum anderen und lebte und arbeitete in Hotels, oder was auch immer mir als künstlerische Residenz angeboten wurde. So reiste ich durch die ganze Welt und hatte zunächst keine Sicherheit, auf die ich zurückgreifen konnte – das war für einige Zeit sehr aufregend. Nach 10 Jahren, in denen ich so lebte, war ich jedoch erschöpft und beschloss, ein Experiment auszuprobieren, das ich noch nie zuvor gemacht hatte, und hielt einfach irgendwo inne, um zu sehen, was passieren würde. Ich hatte im Zentralwerk Dresden eine Gruppe von Leuten getroffen, die mir sehr gefielen, und einige sehr enge Freunde gefunden, wie bspw. Heiko Oeft. Dresden war eine weitere Art von Experiment, das ich sehr gerne erlebt habe. Ich wollte künstlerische Freiheit und gute Freundschaften, und diese Dinge fand ich in Dresden. Wenn man heute New York erwähnt, denke ich eigentlich nur an den Kommerzialismus.