Nicolas Cilins & Yan Duyvendak & Nataly Sugnaux Hernandez (CH): ACTIONS, Foto: Anne Volery

ACTIONS – Interview mit Nicolas Cilins und Yan Duyvendak, #2 – 2019

ACTIONS ist ein Bühnen- und Aktionsprojekt der holländischen, schweizerischen und französischen Künstler*innen Yan Duyvendak, Nataly Sugnaux und Nicolas Cilins. Grundidee ist die konkrete Verhandlung eines in der Stadt drängenden Problems im Zusammenhang mit dem Thema Migration in Form einer theatralen Versammlung. Über Recherchen im Vorfeld analysiert das Autor*innenteam gemeinsam mit dem HELLERAU-Team die besonderen Dresdner Bedingungen in den Bereichen Migration, Zusammenleben und Arbeit. Spezialist*innen, die in diesen Feldern tätig sind, werden interviewt. Aus dem Material entsteht das Skript für eine einmalige Theateraufführung. ACTIONS möchte neue Perspektiven bieten und helfen, konkrete Lösungen in einem komplexen Feld zu finden. ACTIONS bewegt sich als dokumentarisches Theater und soziales Forum an der Grenze zwischen Kunst, Politik und Aktion. 

Wilson le Personnic: Die Arbeitsweise für das Projekt ACTIONS ist kollektiv. Wie wichtig ist die Idee der kollaborativen Arbeit für dieses Projekt? 

Yan Duyvendak/Nicola Cilins: ACTIONS ist ein Konzept, das sich zwischen Performance, Theater und Dokumentation bewegt. Es handelt sich um ein Diskussionsformat, das Werkzeuge des dokumentarischen Theaters nutzt und auf der Grundlage eines Drehbuchs basiert. Wichtig ist der intensive Vorbereitungsprozess mit den Spezialist*innen aus der Stadt. Die Performance ACTIONS dauert nicht länger als eine Stunde, die Diskussion des Abends ist inszeniert, folgt einer bestimmten Dramaturgie, und es muss gewährleistet sein, dass jede*r Teilnehmer*in seine eigene Rolle während der Diskussion nicht verlässt: Bürger*in, Politiker*in, Freiwillige, Autor*innen und Geflüchtete bleiben sie selbst. 

Was sind aus ideologischer, sozialer und politischer Sicht die Hauptthemen, die von ACTIONS aufgeworfen werden? 

Die Probleme im Zusammenhang mit der Aufnahme von Geflüchteten sind keine einzelne Angelegenheit der Staaten, der Gesetzgebung, des Engagements der Zivilgesellschaft oder auch eine Frage der Mittel. Das ist es, was uns in eine seltsame und ausweglose Situation bringt. Und in dieser Situation öffnet das Projekt Zwischenräume. Dank der unterschiedlichen Ereignisse und Erfahrungen innerhalb der Performance ACTIONS, die bisher in Italien, Griechenland, Frankreich und in der Schweiz stattgefunden hat, können wir sagen, dass in jedem Land, jeder Stadt, jeder Gemeinde alles anders ist: die Gesetze, ihre Interpretationen, Regeln, materielle Einschränkungen, Geschichten und Verpflichtungen jedes Einzelnen. Vielleicht ist bei aller Unterschiedlichkeit allein der menschliche Faktor nicht reduzierbar. ACTIONS arbeitet an einer Grenze: der des Aktivismus. 

Welche Vorarbeiten finden statt und wie werden die verschiedenen Akteur*innen des Projekts zusammengeführt? 

Die Besonderheit von ACTIONS als Stück besteht darin, dass es mit jedem Auftritt neu geschrieben wird. Die verschiedenen Teilnehmer*innen besprechen die dringendsten lokalen Themen. Diese Dringlichkeit wird im Vorfeld mit den aktiven Partner*innen vor Ort definiert. Wir führen gemeinsam mit ein oder zwei Journalist*innen Interviews mit den verschiedenen Teilnehmer*innen durch. Danach schreiben wir das Drehbuch, welches das Wesen des Problems erfassen soll. Diesen Entwurf diskutieren wir erneut mit den Teilnehmer*innen, um dann mit dem finalen Drehbuch die inszenierte Diskussion vor einer Öffentlichkeit aufzuführen. 

Wie hat sich diese Struktur zwischen Interview-Protokoll und Dokumentartheater entwickelt? 

Wir haben die Arbeit empirisch aufgebaut und den Prozess an die Befindlichkeiten und besonderen Bedürfnisse jeder Person angepasst. Gleichzeitig versuchen wir, die wichtigsten Probleme zu erkennen, herauszufiltern. Es ist ein Balanceakt, und an dieser Stelle ist das Format interessant. Es vermeidet hitzige Debatten, weil alles vorab notiert wurde und alle vorab zugestimmt haben. Wir haben natürlich über diese Struktur nachgedacht und eine solche Struktur ist nur durch viele Annäherungen möglich. Trotz der genauen Abläufe und des Formats ist auch ein Scheitern während der Aufführung möglich. Es ist ein spannendes, äußerst komplexes Werk, da es gleichzeitig auf der konzeptionellen, politischen, sozialen, menschlichen und formalen Ebene stattfindet. 

Welche Rolle spielt das Medium Theater angesichts politischer, gesellschaftlicher und realer Fragen? 

Nur weil hier etwas Reales passiert, ist es nicht gleichzusetzen mit der Darstellung der Realität. Das ist das Spannende an dieser Form von Performance. Was das Medium „Theater“ betrifft, so versuchen wir, etwas Archaisches zu finden, etwas, das uns mit der Politik verbindet.

ACTIONS wird mit jedem Auftritt neu geschrieben.

„Arbeit, Ausbildung und Bildung sind wesentliche Systeme gesellschaftlicher Integration und Inklusion, die nicht nur der Existenzsicherung, sondern auch der gesamtgesellschaftlichen Partizipation dienen. Daher ist es auch für Migrant*innen und Geflüchtete wesentlich, in diesen Bereichen aktiv beteiligt zu sein und ihren Anteil beizutragen. Die Rahmenbedingungen der Zugänge zu den Voraussetzungen wie Spracherwerb, nachholende Bildung und weitere Integrationsangebote werden durch den Aufenthaltsstatus und das Herkunftsland bei Geflüchteten stark beeinflusst. Neben den Ausgrenzungen bei „unsicherem“ Aufenthaltsstatus (während des Aufenthalts in sogenannten Ankerzentren oder Erstaufnahmeeinrichtungen, während des Asylverfahrens oder bei einer „Duldung“) können Migrant*innen häufig auch nicht in den in der Heimat erworbenen Berufen arbeiten. Förderungen durch die Arbeitsverwaltungen werden nicht gewährt, weil die Aufenthaltsdauer, die in den Papieren steht, zu kurz ist oder die Voraussetzungen für eine Teilnahme nicht oder nur auf dem Papier zu dieser Zielgruppe „passen“. Noch viel zu oft stellen komplexe Gesetzeslagen erhebliche Hindernisse für eine faire Teilhabe an guter Erwerbsarbeit in Deutschland dar und verweigern so Geflüchteten das Menschenrecht auf Arbeit. Letztlich fehlt es auch oft an Unterstützung von Menschen im Umfeld, die bei der Bewältigung von Anforderungen der Berufsschule, während der Ausbildung oder bei Absolvierung von Schulabschlüssen – bei unterbrochener Bildungsbiografie – Nachhilfe oder Beistand geben könnten.“ Andre Kostov, Projektkoordinator Fachlich-inhaltliche Programmbegleitung Arbeitsmarktmentoren Sachsen beim Sächsischen Flüchtlingsrat und Partner von HELLERAU bei ACTIONS

Di 05.11.2019 20:00 Uhr
ACTIONS
 
Yan Duyvendak, Nicolas Cilins und Nataly Sugnaux (CH)
Dokumentartheater/Performance
Deutschland-Premiere
Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Gekürzte und bearbeitete Fassung; das vollständige Interview erschien am 21.06.2019 auf www.maculture.fr