Transforming Acts

Ein Kaleidoskop von Penelope Wehrli und Detlev Schneider (CH/DE)

Tanztheater hat eine Pilotfunktion für mich.
Auch die Funktion einer Kläranlage, zur Reinigung der Mittel,
wie der Kubismus für die Malerei.
Heiner Müller 1986

In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Tanz als autonome Kunstform in markanter Weise zum Impulsgeber für Künstler, die nach unverbrauchten Ausdrucksformen suchten und dabei Genre- und Gattungseinhegungen überschritten, und er beeinflusste besonders die Theateravantgarden nachhaltig. Sein hochartifizielles Bewegungsvokabular, die Komposition der Spieler zu Bildern im Raum, repetitive Abläufe, das Physisch-Expressive des tänzerischen Ausdrucks, das Chorische – sie wurden wegweisende Impulse für Regisseure, die nach einer erneuerten und gesteigerten Kunsthaftigkeit des Theaters suchten, nach szenischen Mitteln hinaus über den geläufigen mimetischen Abbildrealismus des Schauspiels und seine lineare Narration.

Wie sehr etwa Pina Bauschs Choreografien das eigene Kunstdenken prägten, bekundeten in berührender Weise Heiner Müller und Einar Schleef auf ihrer Suche nach zeitgemässen szenischen Bildern des Tragischen.

Zeitgleich drängten in Mitteleuropa die Synergien von Tanz, Klang und Bildraum zur Wirkung, an denen seit den sechziger Jahren Cage und Cunningham und die New Yorker Judson-Church-Künstler arbeiteten. Lucinda Childs´s Einfluss etwa erreichte uns in den Inszenierungen von Robert Wilson. Auch die frühen Choreografien und Performances von Anna Theresa de Keersmaker, Jan Fabre und anderer Aktivisten der flämisch-niederländischen Szene in dieser Zeit kamen von dorther, und sie inspirierten jüngere Choreografen und Regisseure.

Zugleich begann der Tanz seinerseits, die Spezifika anderer Kunstformen aufzunehmen, und  er verstärkte damit noch sein Einflusspotential –dramaturgisches Denken in mehrschichtigen Narrativen, Sprach,- Sprech- und Schrifttexturen sowie die rasant wachsenden Imaginations-potentiale der elektronischen Bild- und Klangmedien.

Hybride Formen und Formate enststanden, wie sie heute selbstverständliche Praxis sind.

Diese überaus fruchtbaren Inspirations- und Transformationsvorgänge in den letzten drei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts will unser Projekt in einem ersten Anlauf an einigen eindrücklichen Beispielen aufzeigen und erfahren lassen.

Es versammelt Passagen signifikanter Aufführungen von zwölf ChoreografInnen und Regisseuren sowie Bild- und Tonmaterial dazu aus ihren persönlichen Archiven, aus Theater- und Tanzarchiven und kombiniert sie mit Videoporträts, die wir eigens für dieses Projekt hergestellt haben.

Pina Bausch | Laurent Chetouane | Jo Fabian | Jan Fabre | Johann Kresnik | Thomas Lehmen | Heiner Müller | Einar Schleef | Meg Stuart | Robert Wilson | The Wooster Group | VA Wölfl/Neuer Tanz – dies ist die erste exemplarische Auswahl, in alphabetical order.

Ein dynamisches Archiv

Eine Raumkomposition aus fünf Projektionsebenen. Film- und Videosequenzen aus den ausgewählten Stücken, Interviewclips der Choreografen und Regisseure und aktuelle Videoporträts der ausgewählten Künstler. Zuweilen Stills prägnanter Sätze von ihnen.

Eine eigens entwickelte Software kombiniert präzise komponierte Passagen mit Zufallsparametern. Das Material wird live gemischt und in immer anderen Konstellationen auf die Projektionsflächen verteilt. Es webt sich ein spielerisches Netzwerk aus Bezügen und Querverweisen – dialogische Momente, aber auch unerwartete Gegenüberstellungen zwischen den unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen, ein Kaleidoskop der Bilder und Methoden.

Der Einstieg ist für die Besucher jederzeit möglich; die Installation setzt sich selbst immer wieder neu zusammen – ohne definierten Anfang und Ende, wie auch die Vorgänge, die Thema sind.

Penelope Wehrli
Penelope Wehrli – geboren in Zürich, lebt in Berlin. Arbeitet auf den Schnittflächen von Raum und Performance, Theater, Film und Medienkunst. Nach Performance- und Filmexperimenten in den achtziger Jahren in New York folgten Bühnenraum- und Kostümentwürfe und szenografische Lehrtätigkeit und seit den neunziger Jahren Serien freier Arbeiten, in denen sie hybride Formen und Formate entwickelt. Ihre Inszenierungen und ortsspezifischen Installationen sind meist begehbare mediale Räume, zuweilen mit hochartifizieller Live-Performance.
2004 – 2009 Professur für Szenografie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. www.aether1.org

Detlev Schneider
Theater- und Kulturwissenschaftsstudium in Leipzig und Berlin, theaterpublizistische Tätigkeit, speziell über Szenografie, Theaterarchitektur und theatrale Grenzbereiche, 1989 Mit-Initiator der Neubegründung des Festspielhauses Hellerau in Dresden als Experimentierort der performativen Künste, 1990 bis 2000 Vorsitzender von dessen internationaler Trägergesellschaft und bis 2002 künstlerischer Leiter. 2001 Gründungsmitglied der Trans-Media-Akademie Hellerau, mehrmals Ko-Kurator von deren Festival für computergestützter Kunst CYNETart. Diverse Jury- und Beiratstätigkeiten, u.a. Hauptstadtkulturfonds, Berlin. Initiator und 2004 bis 2007 Künstlerischer Co-Direktor von TESLA medien>kun st