Foto: Gabriele Gorgas

Für Claudia „Wanda“ Reichardt, #1 -2022

Von Detlev Schneider  

Wanda war für uns ein Glücksfall.  
Seit den frühen achtziger Jahren hatte sie in den maroden, doch trockenen 
Räumen der Villa Marie am Blauen Wunder zu Ausstellungen eingeladen, 
die in offiziellen Galerien nicht denkbar waren. Kulturamtlich geduldet, 
staatssicherheitlich beargwöhnt. Dann die Wendeparadoxie: An einen 
„Investor“ verkauft, wurde die Villa flugs zum Edel-Italiener. 
Und Wanda kam zu uns ans Festspielhaus. Vom Arbeitsamt gefördert als
„Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“. Ihr Sinn für pragmatische Klarheit kam 
uns genau zupass, denn wir wollten das militärisch malträtierte Haus in 
einem sorgsamen Prozess als Kunstort wiedergewinnen, wollten das 
suchende künstlerische Arbeiten in den disparaten Zeitschichten dieses 
Raumgefüges verschränken mit dessen behutsam-reparierender Sanierung. 
War diese Vorgehensweise schon politisch schwer zu vermitteln – Dresden 
schickte sich gerade an, zum „Stillleben in der deutschen Nationalgalerie“ zu 
werden, wie Durs Grünbein pointierte –, so gerieten die praktischen 
Herausforderungen bald zur Äquilibristik. 
Und Wanda wurde da der ruhende Pol. 
Das war das Eine. 
Das Andere: Das Festspielhaus sollte zum Interface vieler Künste werden, 
ihr form- und sinnsuchendes Einander-Durchweben war unser Programm. 
Wandas weiter Blick für die Bildkünste wurde da hochwichtig, und sie 
kuratierte bald ein Projekt, in dem Kunst und Bauen exemplarisch 
zusammenspielten – ein neuer Boden im Großen Saal, erste Intervention in 
dessen überkommene Gestalt. Weg mit dem grobrissig-rauen Militärbeton. 
Eine reine, ebene Fläche aus lichtgrauem Quarzsand kam, die sofort die 
Anmutung des Raumes änderte, würdige Basis künftigen Geschehens. Es 
gab eine veritable Vernissage für den Boden. Der Direktor des Albertinums, 
Ulrich Bischoff, hielt die Laudatio, dann Cello, Brot und Wein. 
In den folgenden Jahren initiierte Wanda bildnerisch-basierte Projekte, die 
naturgemäß ephemer waren. Eines aber blieb physisch präsent. 
Als Nancy Spero, die frühe Ikone feministischer New Yorker Kunst, 1998 für 
einen Arbeitsbesuch nach HELLERAU kam, wurde Wanda fünf 
Sommerwochen lang unsere Gastgeberin für sie und ihre Studentinnen. Als 
Dank fügte Nancy Spero im westlichen Seitenstudio in die Zeitspuren der 
Wände feinsinnige Fresken ein. Wir verdanken es Wandas beharrlichem 
Insistieren, dass dieser kleine Saal bei der späteren Generalsanierung des 
Hauses nahezu unangetastet blieb. Er wurde damit zugleich zum Zeugen 
jenes turbulenten Jahrzehnts der Neubegründung des Festspielhauses. 
Der Nancy-Spero-Saal ist nun Wandas gegenständliches Vermächtnis. 
An einem späten Septembertag wachte sie aus wohl friedlichem Schlaf nicht wieder auf.