Villa Massimo zu Gast in HELLERAU

Mit Unsuk Chin, Hanna Hartman, und Andrej Koroliov mit Ensemble LUX:NM

4:3 Kammer Musik Neu Musik 2022/23

Preisträger:innenkonzert der Jahrgänge 2020–2022

Im November 2022 ist im Rahmen der Festivalreihe „4:3“ ein spezielles Konzert mit Preisträger:innen der Jahrgänge 2020 bis 2022 der Villa Massimo in Rom geplant. Der Preis der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo gilt als bedeutendste Auszeichnung für deutsche und in Deutschland wirkende Künstler:innen mittels Stipendienaufenthalten im Ausland. In Dresden haben die aktuellen Preisträger:innen mit ihren Werken aus den Sparten Bildende Kunst, Architektur und Literatur und unter dem Titel „Eppur si muove – und sie bewegt sich doch! – Villa Massimo zu Gast im Japanischen Palais“ vom 24. Juni bis zum 25. September 2022 einen Ort der Auseinandersetzung mit unserer Zeit und mit der Frage, wie sich die Welt verändern wird, geschaffen. Die Preisträger:innen der Sparte Musik werden am 5. November 2022 in HELLERAU vorgestellt: Die Pianistin Yejin Gil wird die Komponistin Unsuk Chin mit sechs Klaviersonaten porträtieren, Hanna Hartman wird ein in Rom entstandenes neues Projekt mit der Videokünstlerin Dafne Narvaez Berlfein präsentieren und Andrej Koroliov mit Heinrich Horwitz, Rosa Wernecke und LUX:NM das Projekt Epilog:Abriss. Der genaue Ablauf des Programms wird hier demnächst vorgestellt.

wenig Sprache, ca. 2 Std. 30 Min.

Programm

18:00 Uhr – Begrüßung
Michael Kretzschmer (Ministerpräsident des Freistaates Sachsen), Julia Draganović (Leitung Villa Massimo Rom), Marion Ackermann (Leitung Staatliche Kunstsammlungen Dresden), Moritz Lobeck (Programmleitung HELLERAU)

18:20 Uhr – Konzert Unsuk Chin – Pianistin Yejin Gil

18:45 Uhr – Pause

19:15 Uhr – EPILOG:ABRISS Musiktheater/Performance von Andrej Koroliov (LUX NM)

20:15 Uhr – Pause

20:30 Uhr –  Konzert Hanna Hartman

Ab Berlin gibt es einen kostenlosen Bus-Shuttle zum Konzert, der 14:45 Uhr am Hauptbahnhof Europaplatz Invalidenstr./Busparkplatz startet.

Hier anmelden

In Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden/Japanisches Palais, Deutsche Akademie Rom Villa Massimo und Le Vivier Montréal. Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

„Der Musikschriftsteller Oscar Bie schrieb in Bezug auf Chopin, dass es „‚echtere‘ Klaviermusik als eine Etüde“ nicht gibt, da „das Wesen des Klaviers in ihr zur Musik geworden“ ist. Ich bin derselben Meinung, und zwar nicht nur, was Chopin betrifft, sondern auch die Etüden anderer großer Klavierkomponisten: Liszt, Debussy, Bartók, Messiaen, aber auch die Werke ihrer Vorläufer: Scarlattis Essercizi, Bachs Wohltemperiertes Klavier oder seine Klavierübungen … Mich reizt insbesondere der grenzüberschreitende, „transzendentale“ (Liszt) Aspekt, der allen bedeutenden Etüden zugrunde liegt, die Idee, dass der Pianist an seine Grenzen – oder über seine Grenzen – zu gehen bereit ist.

Die Etüde Nr.1, In C, entstand 1999. Sie wurde von der balinesischen Gamelanmusik beeinflußt, die ich 1998 während eines Bali-Aufenthaltes näher kennenlernt hatte und die für mich in manchen Werken eine Rolle gespielt hat. Mehrere Konzepte der Gamelanmusik waren hier ausschlaggebend: zum einen die rhythmischen Modelle (insbesondere die konsequente Übereinanderschichtung dreier verschiedener Pulsationen), ferner die durch die raffinierten Stimmungen entstehende einzigartig schimmernde Klangwelt. (Letztere ist auf dem Klavier strenggenommen überhaupt nicht darstellbar, und doch kann sie durch die klangliche Anlage des Stückes sowie die Pedalkünste eines geschickten Pianisten zumindest angedeutet werden.) Trotz dieser Allusionen auf Gamelanmusik handelt es sich bei In C nicht um eine Paraphrase oder gar eine Imitation von jener. Die Harmonik des Stückes basiert auf dem Ton C – allerdings hat das Stück mit der funktionalen Harmonik nicht das Geringste zu tun: die Obertonreihe des C bildet lediglich die harmonische Grundlage des Stückes.

Die Etüden Nr. 2 bis 4 (Sequenzen, Scherzo ad libitum, Skalen) wurden als Gruppe konzipiert und entstanden 1995. Im Vergleich zu den übrigen Etüden sind sie vergleichsweise stark an der Klaviermusik der klassischen Moderne orientiert, insbesondere was die Klaviertechnik anbelangt. Über die kompositions- und klaviertechnischen Problemstellungen der zweiten und der vierten Etüde erzählen die Stücktitel (Sequenzen und Skalen) einiges. Scherzo ad libitum wiederum ist ein Charakterstück und bildet somit einen markanten Kontrast zu den anderen Etüden.

Toccata, die fünfte Etüde, nimmt Bezug auf die Etüde Nr.1: auch sie basiert auf der Obertonreihe des C. Und doch ist das Konzept, das Toccata zugrundeliegt, dem der ersten Etüde gänzlich entgegengesetzt: anstelle von Statik herrscht hier, wie der Titel schon nahelegt, eine sehr dynamische Vorwärtsrichtung vor und ist diese Etüde ein ausgesprochenes Virtuosenstück. Sie beginnt mit sehr einfachen Zellen, die zunehmend komplexere und dichtere Erscheinungsformen annehmen.

Die sechste Etüde, Grains, entstand im Auftrag des Londoner South Bank Centre aus Anlaß des 75. Geburtstages von Pierre Boulez. Der prägende Einfluss für dieses Stück war die Granularsynthese, mit der ich im elektronischen Studio gearbeitet habe. In der elektroakustischen Musik bezeichnet man digitale klangliche Elementarteilchen, deren Länge 1 bis 50 ms beträgt, als ‚grains‘. Diese ‚Klangkörner‘ werden durch Zerlegung aufgezeichneter Klänge gewonnen und bei der Granularsynthese zu neuen Klängen zusammengesetzt. In Grains versuchte ich, dieses Konzept auf den Tasten des Klaviers zu simulieren. Von traditioneller Klaviermusik ist das Stück – was die Klaviertechnik, aber auch was die musikalische Struktur betrifft – sehr weit entfernt.“Unsuk Chin

Nr.1 in C

Nr.2 Sequenzen

Nr.3 Scherzo ad libitum

Nr.4 Scalen

Nr.6 Grains

Nr.5 Toccata

Yejin Gil – Klavier

Foto: Unsuk Chin

Unsuk Chin

Die in Berlin lebende Komponistin Unsuk Chin wurde 1961 in Seoul, Korea, geboren. Ihre Werke wurden von vielen der internationalen Spitzenorchester zur Aufführung gebracht, darunter die Berliner Philharmoniker, das New York Philharmonic, das Chicago Symphony, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das London Philharmonic, das Gewandhaus-Orchester, das Orchestre Philharmonique de Radio France, das Boston Symphony Orchestra und NDR Elbphilharmonie. Zu Chins Interpreten zählen Dirigenten wie Kent Nagano, Simon Rattle, Alan Gilbert, Esa-Pekka Salonen, Susanna Mälkki und François-Xavier Roth. Unsuk Chin wurde mit dem Grawemeyer Award, dem Arnold Schönberg-Preis, dem Wihuri Sibelius Prize sowie dem Léonie-Sonning-Musikpreis ausgezeichnet. Portrait-CDs und DVDs ihrer Musik erschienen bei der Deutschen Grammophon, Unitel, Kairos und bei Analekta. Chin ist künstlerische Leiterin des Tongyeong International Music Festival in Südkorea und des Weiwuying International Music Festival in Taiwan.

Yejin Gil

Yejin Gil begann ihre pianistische Ausbildung im Alter von fünf Jahren, nach erfolgreichem Abschluss an der Seoul National University zog sie nach Deutschland, wo sie an der Folkwang Universität der Künste Essen ihr Diplomstudium und Konzertexamen mit Auszeichnung absolvierte. Schwerpunkte ihres Schaffens liegen sowohl im klassisch-romantischen Repertoire als auch in der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts.

„Die Zerbrechlichkeit oder Hinfälligkeit des menschlichen Daseins als Maßstab zu nehmen bedeutet, grundsätzlich von einer zeitlichen Beschränkung sowie der physischen Unstetheit aller Erscheinungen auszugehen. Weil die Kunst hingegen traditionell für sich den Anspruch erhoben hat, unvergängliche Formalisierungen zu gestalten, galt sie auch immer als apotropäische Geste gegen die Vergänglichkeit. Als Ort, an dem Körper, in eine visuelle Form übertragen, verstetigt werden können, hält die Kunst der Gewissheit, dass alle Leiblichkeit, dem Prozess der sterblichen Zersetzung ausgeliefert ist, eine Vorstellung von Dauer entgegen.“ (Elisabeth Bronfen aus »Vergänglichkeit im Blickfeld«)

Epilog:Abriss ist ein gemeinsames Stück des Ensembles LUX:NM, Andrej Koroliov, Heinrich Horwitz und Rosa Wernecke. Epilog:Abriss führt uns in einen Raum, den wir im Leben nie sehen werden. Der nach unserer Zeit kommt, der sich mit dem Versuch beschäftigt sich von seinem Besitz, dem Leben und dessen Umständen, zu trennen und der Kunst zu verschreiben. Absenz soll das Publikum durchdringen, alle Sinne ansprechen, das draussen vergessen machen, den Konzertraum zu einer neuen in sich geschlossenen Welt werden lassen. Epilog:Abriss soll mehr einen Zustand evozieren, denn einen zeitlich begrenzten Abend, die vielen dystopischen Formen der Gegenwart, in eine utopische Idee von Zukunft verwandeln. Dabei werden verschiedenen Revolutionen durchlaufen, in denen die Zuschauer*innen gemeinsam mit den Musiker*innen nach und nach die Kontrolle verlieren, sich mehr verabschieden müssen, um sich in eine morphende – transformierende Masse zu verwandeln und den Blick zu öffnen, für die Ungewissheit der Zukunft.

 

Andrej Koroliov – Komposition

Heinrich Horwitz – Inszenierung

Rosa Wernecke – Bühne / Video

Gilda Coustier – Inspizienz / Lichteinrichtung

 

ENSEMBLE  LUX:NM

Ruth Velten – Saxophon / Performance

Florian Juncker – Posaune / Performance

Silke Lange – Akkordeon / Performance

Zoé Cartier Violoncello / Performance

Martin Offik – Klangregie

Eine Produktion von Ensemble LUX:NM im Rahmen von Ten years jubilee LUX:NM in Kooperation mit dem Ballhaus Ost. Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds.

 

Andrej Koroliov

Andrej Koroliov, geboren 1982 in Hamburg, studierte Klavier, Komposition und Musiktheorie bei Marian Migdal, Peter Michael Hamel und Manfred Stahnke an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Als Komponist hat sich Koroliov mit akustischen, live-elektronischen, performativen und multimedialen Werken einen Namen gemacht. Als Pianist und Performer ist er u. a. mit dem ensemble Intégrales, dem Trio Catch und den Hamburger Symphonikern als Solist und Ensemblemitglied hervorgetreten. Im Jahre 2011 mitbegründete Andrej Koroliov das Decoder Ensemble, das sich seither zu einer der innovativsten und unberechenbarsten Gruppierungen im Bereich der Experimentellen Musik entwickelt hat.

Heinrich Horwitz

Heinrich Horwitz (they/them/she/her/he/him) ist Regisseur:in, Choreograf:in und Schauspieler:in. Heinrich studierte Schauspielregie und Choreografie an der HfS Ernst Busch Berlin. Sie realisierte Produktionen in der freien Szene, an diversen Stadttheatern und in der Szene der Neuen Musik. Seit 2017 arbeitet Heinrich kontinuierlich mit dem Decoder Ensemble zusammen, ausserdem als Choreograf:in mit Sarah Nemtsov, Carola Schaal, Alexander Schubert, Ensemble Garage, Lux NM und der Kuratorin und Dramaturgin Elisa Erkelenz, unter anderem mit Produktionen in der Elbphilharmonie Hamburg, dem Deutschlandfunk Köln und bei Festivals wie Frau Musica Nova, Internationales Musikfest Hamburg oder Ultima Oslo. Neben der Regie und Choreografie arbeitet Heinrich kontinuierlich auch als Schauspieler:in an Theater, in Film und Fernsehen.

LUX:NM

LUX:NM contemporary music ensemble berlin ist ein Solist:innenensemble für Neue Musik, das sich seit seiner Gründung 2010 innerhalb kurzer Zeit zu einem international gefragten Ensemble entwickelt hat. Das undirigierte Ensemble widmet sich der Interpretation zeitgenössischer Musik und versteht sich zugleich als Initiator neuer Werke. Intensive Ensemblearbeit und enge Zusammenarbeit mit Komponist:innen ermöglichen außergewöhnliche Projekte, in denen Elektronik und genreübergreifende Ideen ihren Platz finden.

UNDERCOVER ist eine Performance, die Live-Animation, bewegliche, klingende Objekte und Elektronik zusammenbringt. Magie bewegt sich in Schichten von Ton und Bild. Objekte und Klänge werden von der Realität, aus der sie stammen, getrennt, und schließen auch das Publikum in eine neue Klangwelt ein.

Hanna Hartman – Performance, Live-Animation und Electronics

Dafne Narvaez Berlfein – Live-Kamera, Projektionen

Foto: Peter Gannushkin

Hanna Hartman

Hanna Hartman ist eine schwedische Komponistin, Klangkünstlerin und Performerin, die in Berlin lebt. Sie hat Werke für Radio, elektroakustische Musik, Ensembles und Klanginstallationen komponiert. Zu ihren zahlreichen Auszeichnungen und Stipendien gehören der Karl-Sczuka-Preis, der Phonurgia Nova Preis, ein Villa Aurora Stipendium und der Rom-Preis (Villa Massimo). Ihre Werke wurden in zahlreichen Konzerten und Festivals präsentiert wie den Darmstädter Ferienkursen, Ultima Oslo Contemporary Music Festival, Huddersfield Contemporary Music Festival oder London Contemporary Music Festival.

Dafne Narvaez Berlfein

Dafne Narvaez Berlfein lebt als Film- und Videokünstlerin in Berlin und lehrt und forscht zur Medienästhetik in Geschichte und Gegenwart, insbesondere zu Künstler:innen, die in Underground-Kontexten produzieren und sich mit Erfahrungen von Entwurzelung auseinandersetzen. Ihre visuellen Arbeiten entstehen meist im Dialog mit dem Schaffen anderer Künstler:innen und waren an der Deutschen Oper, am Haus der Kulturen der Welt, bei der Documenta14 und andernorts zu sehen.