„Ohne Erinnerung kann nichts sie zurückhalten“

Drei Impulse zum Seebad Prora gestern & heute: Katja Lucke, Dr. Thomas Widera, Christine Dörner

2023/24 Gespräch SCHICHTEN

Im Rahmen ihres neuen Stücks „Self Care Strandbefehl“ lädt die Gruppe fachbetrieb rita grechen zu drei kontextualisierenden Impulsvorträgen und einem anschließenden Gespräch ein.

Vom „KdF-Seebad Rügen“ in Prora zur „Wohlfühloase“
Katja Lucke

Katja Lucke, wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationszentrums Prora, gibt einen Überblick über die historische Entwicklung des Seebad Prora. Die etwa 4,7 km lange, als „KdF-Seebad“ geplante Anlage wurde im Auftrag der „NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude“ zwischen 1936 und 1939 an der Prorer Wiek auf der Insel Rügen gebaut und zu großen Teilen im Rohbau vollendet. 20.000 Menschen sollten hier zeitgleich eine Woche lang Urlaub machen können und für die Kriegs-, Lebensraum- und Rassenpolitik der Nationalsozialisten gewonnen werden. Während des Krieges ist mit der Geschichte des Hauses NS-Zwangsarbeit verbunden als auch die Ausbildung von Polizeibataillonen, die von Prora hinter die Fronten vor allem Osteuropas geschickt wurden und an Verbrechen beteiligt waren. Der Gebäudekomplex bezeugt darüber hinaus die Nachnutzung durch die Sowjetarmee als auch die NVA, die den Gebäudekomplex zu einer Großkaserne ausbaute, in den 1980er Jahren Standort vieler Bausoldaten. Die Anlage steht unter Denkmalschutz. Die Sanierungsprozesse und die heutigen Nutzungskonzepte verändern den Erinnerungsort.

Prora und die NVA-Bausoldaten
Dr. Thomas Widera

Prora und der Einsatzort Mukran haben für die Geschichte der Bausoldaten eine besondere Bedeutung – aufgrund der Dimension des gesamten Militärkomplexes und der Größe der Baueinheit. Nach dem Baubeginn des militärstrategisch wichtigen Hafens Mukran gab es in Prora seit 1982 eine der größten Baueinheiten der DDR. Dr. Thomas Widera, affiliierter Forscher am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden und seit 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sorbischen Institut in Bautzen, spricht über die Geschichte der Bausoldaten und ihre Einsatzbedingungen und bettet sie ein in den Rahmen der historischen Entwicklung.

Unbequemes Prora
Christine Dörner

20 Jahre lang passierte nichts. Und heute ist es nicht mehr der Verfall, der den „Koloss auf Rügen“ bedroht, sondern seine Wiedergeburt als Luxusimmobilie. Verloren geht dabei nicht nur denkmalwerte Bausubstanz, sondern auch die Lesbarkeit des unvollendet gebliebenen „KdF“-Seebads Rügen, welches im Zuge das aufkommenden Kalten Krieges als Großkaserne ausgebaut und bis zur Wende als solche genutzt wurde. Christine Dörner, Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Denkmalpflege und Baugeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar, zeigt in ihrem Impulsvortrag das Spannungsverhältnis von Erinnerungskultur, Denkmalschutz, Erneuerung und Verdrängung am Bespiel Prora auf.

Moderation: Dr. phil. Justus H. Ulbricht

Dauer: ca. 2 Std.
Sprache: Deutsch

Katja Lucke: Nach einem Studium der Neueren Geschichte, Philosophie und Spanisch an der Technischen Universität Berlin sowie am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin arbeitete sie als Freie Dozentin, Multiplikatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Bereichen Bildung, Recherche, Dokumentation und Ausstellungen in Dokumentations- und Bildungsstätten wie Yad Vashem (Jerusalem), Stiftung Topographie des Terrors (Berlin), Deutsch-Russisches Museum Karlshorst (Berlin), Dokumentationszentrum NS Zwangsarbeit Schöneweide (Berlin), Anne Frank Zentrum (Berlin), Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (Oranienburg). 2015 übernahm sie die wissenschaftliche Leitung des Dokumentationszentrums Prora.

Dr. Thomas Widera absolvierte ein Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Soziologie an der Technischen Universität (TU) Dresden. 2004 promovierte er an der TU Dresden im Fach Neuere/Neueste Geschichte. Er arbeitete am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden zur DDR-Geschichte und ist seit Herbst 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sorbischen Institut in Bautzen. 

Christine Dörner ist freiberufliche Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Denkmalpflege und Baugeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar. In Lehre und Forschung beschäftigt sie sich mit Praktiken der Denkmalpflege und Bauerhaltung, dem Erforschen von Identitäts- und Erbe-Konstruktionen sowie mit unbequemem Erbe. Ihr besonderes Interesse gilt Techniken des Bestandserhalts, auch im Zusammenhang mit Nachhaltigkeits- und Ressourcenfragen, sowie historischen Bauweisen und -materialien.

Dr. phil. Justus H. Ulbricht absolvierte ein Studium am interdisziplinären Leibniz-Kolleg und der Geschichte, Germanistik und Allg. Pädagogik an der Universität in Tübingen. Von 1995 bis 2009 war er Mitarbeiter der Klassik Stiftung Weimar (Abtlg. Forschung u. Bildung; Kolleg Friedrich Nietzsche); von 2010 bis 2012 gemeinsam mit einer Kollegin an der Universität Magdeburg am Aufbau der Forschungsstelle Moderne Regionalgeschichte beteiligt. Von 2014 bis 2016 war er freier Mitarbeiter der Sächs. Landeszentrale für politische Bildung und von August 2016 bis Dezember 2020 Geschäftsführer des „Dresdner Geschichtsvereins“ und Redakteur der “Dresdner Hefte”. Seit 1/2021 ist er freiberuflich tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind Denkmalsgeschichte und Erinnerungskultur, Kultur und Politik im deutschen Bildungsbürgertum (1800 bis 1950), “Heimat” und “Identität”, Völkische Bewegung, Jugendbewegung, neue Religiosität an 1900, Klassik-Rezeption, Kultur- und Politikgeschichte Weimars/Thüringens, Dresdner Lokalgeschichte im 19./20. Jhdt.