Die Lage der Autokratie in Ungarn

2023/24 Nebenan Gespräch
Foto: Till Schuster

Ungarn ist im Jahr 2004 als demokratischer Rechtsstaat der Europäischen Union beigetreten. Die seit über zehn Jahren herrschende Regierung unter Viktor Orbán hat Ungarn in eine Autokratie verwandelt. Sie dominiert ein gefügiges Parlament und hat die Unabhängigkeit der Justiz ausgehöhlt. Alle relevanten Medien sind unter ihrer Kontrolle. Die Wahlen sind zwar frei, unter diesen Bedingungen aber alles andere als fair. Warum hat sich ausgerechnet in Ungarn ein autoritäres Regime etabliert, welche Ziele verfolgt dieses in der Innen- und der Außenpolitik und welche Strategie verfolgen oppositionelle Kräfte? Es diskutieren die Politikwissenschaftler: innen Edit Zgut-Przybylska, Dániel Hegedüs und die Wissenschaftlerin und Theaterkritikerin Noémi Herczog. Vorangestellt werden ihre drei kurzen Impulse:

Edit Zgut-Przybylska erläutert die informelle Verzerrung der Demokratie in Ungarn anhand von drei Schlüsselbereichen: klientelistische Korruption, Vereinnahmung der Medien und Klientelismus bei Wahlen. Anschließend geht sie auf die institutionellen und gesellschaftlichen Komponenten desselben Problems ein, die sich im Orbán-Regime gegenseitig verstärken.

Daniel Hegedüs spricht über die strategische Rolle, die Ungarns multivektorale Außenpolitik im Autokratisierungsprozess des Landes spielt, sowie über die Interaktionen zwischen der Europäischen Union, einer demokratischen halbföderalen Gemeinschaft, und ihrem autokratisierenden Mitgliedsstaat Ungarn. Anschließend wird er das verfügbare Instrumentarium der EU und seine Leistung bei der Sicherung der pluralistischen liberalen Demokratie in Ungarn bewerten.

Noémi Herczog spricht über den zentralistischen und kontrollierenden Geist der staatlichen Kulturpolitik, über finanzielle Zensur als zentrales Instrument des Orbán-Systems sowie ihre Auswirkungen auf die unabhängigen Theatergruppen – jenen oft kritischen Künstler:innen, die noch nie den Interessen der politischen Führung in Ungarn gedient haben.

Moderation: Volker Weichsel (Slawist, Politikwissenschaftler, Redakteur der Zeitschrift OSTEUROPA)

Dauer: ca. 2 Std.
Sprache: Englisch mit deutscher Simultanübersetzung

Eine Kooperation mit der Zeitschrift OSTEUROPA

zeitschrift-osteuropa.de

Dr. Edit Zgut-Przybylska ist Assistenzprofessorin am Institut für Philosophie der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Gastwissenschaftlerin am CEU Democracy Institute. Sie promovierte in Soziologie, hat einen MA in Politikwissenschaft und ist ausgebildete Journalistin. Ihr Forschungsinteresse gilt der Informalität, dem Populismus und dem Euroskeptizismus im Zusammenhang mit dem Rückfall in die Demokratie. Sie ist stellvertretende Vorsitzende von Amnesty International in Ungarn und Gastdozentin am Foreign Service Institute des US-Außenministeriums. Edit hatte ein re:consitution-Stipendium, ein Rethink.CEE-Stipendium beim German Marshall Fund und ein Stipendium bei Visegrad Insight. Zuvor arbeitete sie am Political Capital Research Institute und davor als Journalistin bei verschiedenen Medien in Ungarn.

Daniel Hegedüs ist Senior Fellow bei dem German Marshall Fund of the United States und leitet das Mitteleuropa-Programm des GMF. Er studierte Politikwissenschaft, Geschichte, und Europarecht an der Eötvös Loránd Universität Budapest und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er war zuvor bei Freedom House, bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), und bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) tätig, und unterrichtete in der Osteuropa Institut der Freien Universität Berlin, an der Humboldt Universität zu Berlin, und an der Eötvös Loránd Universität Budapest.

Noémi Herczog ist lebt und arbeitet als Theaterkritikerin, Redakteurin und Universitätsdozentin in Budapest und Cluj. Sie ist Redakteurin der ungarischen Theaterzeitschrift „SZÍNHÁZ“. Von 2013 – 2020 unterrichtete sie an der Universität für Theater und Film, Budapest (SZFE), danach war sie Gastdozentin bei der alternativen Lehrinstitution Freeszfe. 2019 war sie auf einer Vortragsreise in den USA zum Thema ungarisches Theater. Sie war künstlerische Beraterin des Péter Halász Preises für zeitgenössisches Theater und Experimente und Ko-Kuratorin von dunaPart – Hungarian Platform – a Showcase of Contemporary Hungarian Performing Arts (2015, 2017, 2019). 2022 erhielt sie den Tamás Bécsy-Preis für Theaterforschung, den Éva F. Virág-Preis für Theaterkritik und 2023 den Artisjus-Literaturpreis in der Kategorie „Essay“. Sie ist Autorin des Buches: „Theaterkritik der Denunziation im Ungarn des Kalten Krieges“ (2022). Ihr Ziel ist es, experimentelle Tendenzen im ungarischen Theater zu verfolgen und zu unterstützen.