Foto: Matthias Creutziger

Der europäische Kunstsachse, #1 - 2022

Von Katrin Bicher  

Udo Zimmermann gehört zu den vielgespielten Komponist:innen der Gegenwart. Im Oktober 2021 erlag er seiner langen Krankheit. Als Komponist und Kulturkämpfer wird er uns im Gedächtnis bleiben. 

Erstaunlichen Erfolg hatte Udo Zimmermann nicht nur als Komponist. Auch als Vermittler, Dramaturg, Intendant, Manager – nicht zuletzt seiner selbst –gelangen ihm, dessen musikalische Sozialisation im gleichermaßen anspruchsvollen wie elitären und erfolgsgewöhnten Dresdner Kreuzchor für ein Leben auf der Überholspur womöglich prädestinierte, immer wieder überraschende Coups. Souverän bewegte er sich dabei über verschiedene Grenzen hinweg, platzierte seit den 1970er Jahren seine Werke in ganz Deutschland und darüber hinaus, erhielt Kompositionsaufträge und Dirigierverpflichtungen in Ost und West, trat 1990 bis 2001 als Intendant der Leipziger, für kurze Zeit auch der Deutschen Oper in Berlin, lebhaft für zeitgenössisches Musiktheater ein und als Gremien- und Leitungsmitglied verschiedener Akademien der Künste für zeitgenössische Kunst grundsätzlich.   

Sein Anspruch war schon früh formuliert: „Weltmusik“ sollte sich bei Zimmermann treffen. Einen „Warschauer Herbst“ gab es in der DDR nicht. Also galt es, selbst eine Möglichkeit zu schaffen, aktuelle Musik von überall her zum ostdeutschen Publikum zu bringen. Dresden, Zimmermanns Heimat, schien dafür bestens geeignet: „Auf Dresden schaute man nicht ganz so genau wie auf das, was in Berlin geschah. Wir konnten von der relativen Abgeschiedenheit der Provinz profitieren,“ erinnerte er sich 2002 leicht kokettierend. Denn natürlich wusste er, dass Aufmerksamkeit erregen würde, was er vorhatte: mit seinen Aktivitäten Darmstadt und Donaueschingen ein drittes „D“ beizustellen.  

Einen ersten Rahmen dafür bot ihm das Studio Neue Musik, das er unter dem Dach der Dresdner Staatstheater, wo er seit 1970 als „Entwicklungsdramaturg“ für das zeitgenössische Musiktheater zuständig war, 1974 einrichten konnte. Greifbarer wurde das Ziel, als er 1986 in einem Haus auf der Schevenstraße, das die Neue-Musik-Spezialabteilung der Edition Peters aufgeben musste, das „Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik“ ins Leben rief. Damit setzte er die von Peters begonnene Vermittlungsarbeit fort, die neben der Inverlagnahme zeitgenössischer Musik aus Kolloquien, Konzerten und Aufführungen, namentlich in der Verbindung mit anderen Künsten, bestand. Hier konnte Zimmermann an – und seine eigene Vision einer Begegnungsstätte der Künste und Kunstschaffenden umsetzen.  

Wichtig war ihm dabei, keine Exklusivität für Neue Musik zu schaffen, sondern sie als selbstverständlichen Teil in die Kultur zu integrieren. In diesem Sinne leitete er 1986 bis 1990 die „Werkstatt für zeitgenössisches Musiktheater“ in Bonn, setzte in Leipzig Henze, Ligeti, Maderna, Schlünz, Hirschfeld und Herchet neben Mozart, Beethoven, Rossini und Lortzing aufs Programm und startete 2001 als Generalintendant der Deutschen Oper in Berlin, um auch dort seine Idee eines zeitgenössischen Musiktheaters zu realisieren. Der hauptstädtische Opernstreit stoppte ihn allerdings bald. 2003 kehrte Zimmermann nach Dresden zurück, um hier als Gründungsintendant eines nunmehr Europäischen Zentrums der Künste das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik auf dem „grünen Hügel der Moderne“ in Hellerau fortzuführen.   

2008 musste Zimmermann seine Ämter in Hellerau und an der Berliner Akademie der Künste niederlegen, 2011 dann an der Sächsischen Akademie und als künstlerischer Leiter der „musica viva“ des Bayerischen Rundfunks. Nach langer Schaffenspause entstanden nun zwar wieder eigene Werke, u.a. das Jan Vogler gewidmete Cellokonzert und ein Violinkonzert für Elena Denisova. Eine seltene neurodegenerative Erkrankung aber ließ ihn bald verstummen – was besonders tragisch ist angesichts des aktiven Engagements der vorangegangenen Jahre.  

Was nachhallt und bleibt, ist der Zimmermannsche Gedanke, Künste und Kunstschaffende miteinander und mit dem Publikum zu verbinden. Was bleibt, ist mit HELLERAU ein „Europäisches Zentrum der Künste“ in der „relativen Abgeschiedenheit der Provinz“ aber mitten in Europa – nicht zuletzt als ein Zeichen auch der europäischen Idee. Denn, so Zimmermann vor dreißig Jahren im Gespräch mit Monika Grütters: „Die Kunst setzt mit ihren Visionen Zeichen für die Politik […] Politik kann am Ende ohne Kunst nicht leben. […] Leben kann ohne Kunst gar nicht sein. Und Kunst ist Lebenshilfe.“ Nicht provinziell, sondern ganz global.  

Katrin Bicher ist Referatsleiterin „Sammlungen 20./21. Jahrhundert“ an der Sächsischen Landesbibliothek –Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), wo einige Werke Zimmermanns in Autographen und Audiomitschnitten aufbewahrt und zugänglich gemacht werden.  

Ein wichtiges Vermächtnis von Udo Zimmermann sind die 1987 gegründeten „Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik“. Die 30. Ausgabe dieses Festivals muss pandemiebedingt für den Zeitraum April 2021 bis Herbst 2022 geplant werden. Als nächstes steht das Projekt „An Invitation to Disappear“ von Julian Charrière (10. – 13.03.2022) auf dem Programm.