PR Foto Solistenensemble Koleidoskop

Abschied und Beginn,#2-2022

Wie kann ein (Neu)Beginn angesichts einschneidender globaler Veränderungen und Krisen, ökologischer Herausforderungen und der Folgen der Pandemie aussehen? Dieser Frage widmen sich das Solistenensemble Kaleidoskop und Musiker:innen  des  Niedersächsischen Staatsorchesters  Hannover  gemeinsam  mit  dem  Regisseur  und  Choreografen Ben J. Riepe und der isländischen Komponistin Bára Gísladóttir in „Beginn“. Das Projekt ist Teil einer von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Doppelpass-Kooperation, in der das Solistenensemble Kaleidoskop, die Staatsoper Hannover und HELLERAU neue Darstellungsformen von klassischem Orchesterrepertoire untersuchen. Nachdem in „Abschied“ (Uraufführung in HELLERAU am 02.10.2020), dem ersten Teil dieser Kooperation, Mahlers 9. Sinfonie als Grundlage diente, ist mit Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie ein weiteres Monument der Orchesterliteratur der Ausgangspunkt von „Beginn“, dem zweiten Teil der Kooperation.

Beethovens Sinfonie markierte seinerzeit eine künstlerische Zeitenwende und ist gedankliche Grundlage, aktuelle Umbrüche unter die Lupe zu nehmen. Unter der Leitung von Ben J. Riepe haben sich dafür sechs Kaleidoskop-Solist:innen mit sechs Musiker:innen vom Niedersächsischen Staatsorchester Hannover zu einem Performance-Ensemble auf Zeit verbunden, um nicht nur musikalisch, sondern auch in Aktion und Bewegung auf der Bühne zu agieren. „Wir befinden uns in einer Art Zeitenwende zwischen Krisen, in einem Transformationsprozess, in dem alles in Bewegung ist. Was kann darin unsere Rolle als Mensch sein?“ fragt Ben J. Rie-pe und beschreibt damit auch die Ausgangssituation des Projektes: „Mit allen künstlerischen Mitteln möchte ich mit den Musiker:innen als Bühnenakteur:innen einen Beginn visionieren: Wie und was kann diese ‚neue Welt‘ sein? Welches Gepäck, welches Archiv, welcher Ballast vielleicht, aber auch welche Möglichkeiten, bringen wir aus der Vergangenheit mit, um die Zukunft zu gestalten? Wovon müssen wir uns endgültig verabschieden? […] In der Ausstattung machen wir dieses ‚Gepäck‘ im Wortsinn sichtbar, weil wir mit Boxen mit unterschiedlichem Inhalt arbeiten werden, die schon formal viele Assoziationen zulassen: Zeitkapseln, Archivierungskisten, Instrumentenkoffer. […] Inhaltlicher Start- und Ausgangspunkt meiner Probenarbeit war der Atem, als Instrument und gemeinschaftliche Praxis, denn er verbindet uns sowohl miteinander als auch mit der Natur und ist in der Musik gleichzeitig Klangerzeuger und ein Marker von Gemeinschaft und Gemeinsamkeit.“

Neben diesen drängenden Fragen und künstlerischen Positionen berührt das Projekt als Teil des Förderprojektes Fonds Doppelpass aber auch wichtige strukturelle Themen aktueller künstlerischer Produktion. Anspruch des Fonds, der in 10 Jahren etwa 100 Projekte mit insgesamt über 22 Millionen Euro gefördert hat, sind die Stärkung gleichberechtigter künstlerischer Kooperationen und das gemeinsame Erproben neuer, tourfähiger Formen der Zusammenarbeit zwischen freier Szene und Theaterinstitutionen. „Im Hinblick auf die Ziele des Fonds – die Öffnung der Stadttheater und die Aufwertung der freien Szene – bin ich überzeugt, dass der Fonds Doppelpass einen Entwicklungsprozess, d.h. die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Stadttheatern und freier Szene, aufgegriffen und nachhaltig dynamisiert hat. Auch die regelmäßigen Arbeitstreffen im Fonds zeugen von dem gewachsenen Interesse und wechselseitigen Verständnis füreinander“, erklärt Sebastian Brünger, der den Fonds Doppelpass für die Kulturstiftung des Bundes bis zum Abschluss 2022 betreut hat. Ambivalenter würde seine Schlussbewertung allerdings zur Frage ausfallen, ob die Doppelpass-Partnerschaften ihre Arbeitsweisen produktiv und auf Augenhöhe verbinden konnten: „Wenn dies in der Mehrzahl der Partnerschaften tatsächlich der Fall gewesen ist, dann lag das meist daran, dass sich die freien Gruppen eher den Häusern angepasst haben als um-gekehrt. Und klar gab es auch einzelne Projekte, die unter ihren eigenen Erwartungen geblieben sind, aber es geht ja um das Experiment und es gibt nur sehr wenige Akteur:innen, die im Nachhinein sagen: ,Nie wieder‘“. Zudem hat der Fonds Doppelpass eine wichtige Entwicklung in der deutschen Förderlandschaft für die freie Szene verstärkt, die das Hamsterrad der reinen Projektförderung zu vermeiden versucht, und die den Fokus auf mehrjährige Förderung bzw. ergebnisunabhängige Förderung verschoben hat“, ergänzt Brünger.

Vor allem ist der Fonds Doppelpass auch ein wichtiger Diskursverstärker gewesen, hat konkrete Impulse gegeben und beispielhafte Projekte und Erfahrungen ermöglicht. Nicht zuletzt die Pandemie und die in diesem Zusammenhang nochmals deutlicher erkennbaren Diskrepanzen zwischen freier Szene und Kunstinstitutionen verweisen allerdings auf die Notwendigkeit, auch weiter nach Modellen und Lösungen zu suchen, hin zu einem wirklichen (Neu)Beginn – sowohl auf, vor als auch hinter den Bühnen. 

07./08.10.2022

Beginn

Musiktheater

Solistenensemble Kaleidoskop und Musiker:innen des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover

Komposition: Bára Gísladottír Inszenierung, Choreografie: Ben J. Riepe

Im Rahmen des Projektes NEUN in Zusammenarbeit von Solistenensemble Kaleidoskop mit HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste und der Staatsoper Hannover, gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes.