Foto: Adam Dreessen

Ohne Masse keine Macht, #1 – 2022

Von Johanna Roggan und Romy Schwarzer 

the guts company konzipiert, realisiert und erarbeitet klassische Bühnenproduktionen, offene Präsentationsformate, Installationen, sitespecific Arbeiten, Diskursformate und öffentliche Laborsituationen. Seit 2018 setzt sich das Ensemble mit dem Thema Macht in unterschiedlichen Facetten auseinander und verhandelt zwischen Oben und Unten, zwischen Recht und Unrecht, zwischen Hoffnung und Utopie. 

Ein Rückblick
MACHT#1 – AM KÖNIGSWEG nach Elfriede Jelinek (2019/20):  

Ohne Masse, keine Macht. Ein Reigen des Führens und Folgens, der Unterwerfung und Verheißung. 

(…) Nicht zu korrekt sein, nicht schreien, nicht spucken, nicht Transparente schwenken, nicht Scheiben einschlagen, nicht bei jeder Gelegenheit Halt! schreien, davon wird nichts angehalten werden, nicht von Menschen, die nicht einmal für Tiere bremsen würden! Nicht andere als dumm anklagen! Das gilt für mich, ich tu es ja die ganze Zeit. Nicht auf andre herabschauen! Nicht sich erheben, und wenn, dann den Sessel stehen lassen! Nicht selbstgerecht sein und nicht korrekt sein, aber auch nichts sein, was andere beleidigen oder kränken könnte. Als Enttäuschter nicht selbst enttäuschend sein! Auch sonst niemanden täuschen! Der König sagt, was ist, nur Sie täuschen sich immer, er nicht. (…)  (Auszug: Elfriede Jelinek/Am Königsweg)  

In der ersten Produktion zum Thema Macht setzt sich the guts company mit dem Theatertext „Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek auseinander. Der Abend folgt der These: Ohne Masse keine Macht, und es geht um die Frage, was Menschen opfern würden, um zu dieser Masse zu gehören? Zwei Tänzerinnen auf der Bühne und eine Schauspielerin auf 11 Leinwänden begeben sich in einen großen Reigen aus „Führen und Folgen“. Sie thematisieren Unterwerfung, Wortgewandtheit, Blendung, Verheißung und Wiederholung als Zutaten für eine erfolgreiche Führer:innenschaft über eine Masse an identitätshungrigen, orientierungssuchenden, „neuen“ Bürger:innen. 

MACHT#2 – the skin (2020/21)  

widmet sich den Menschenrechten, Erfahrungen von Ohnmacht, Subversion und Selbstermächtigung. Ausgehend von der Annahme, dass Menschenrechte (wie) unsere Haut sind, die unsere Innereien schützt und dennoch die Außenwelt hineinlässt, verhandelt the guts company folgende Fragen: Wieviel Verletzung halten wir aus? Ab wann wehren wir uns und wie? Und wann verlassen wir einen Ort, der täglich unsere Menschenrechte verletzt? Wie fühlt es sich an, wenn man weniger oder keine Menschenrechte zugestanden bekommt? Was sind Überlebensstrategien bzw. was können Formen der Selbstermächtigung sein?  

Vielleicht zwei Wochen lag ich auf dem Boden und habe aus dem Fenster die Sonne von links nach rechts wandern sehen. Daran erinnere ich mich. Das war alles, was ich gesehen habe. Ich habe über nichts nachgedacht, ich habe nichts gefühlt, nur die Sonne von links nach rechts gehen sehen. 

(Auszug: Interview mit Gosha, der wegen Folter aus Russland in die Ukraine geflohen ist)  

MACHT – Symposium, Workshop, Audio-Walk (2021)  

Als Abschluss des Projektes MACHT#2, veranstaltete the guts company im Hole of Fame ein Symposium mit verschiedenen Speaker:innen sowie einen Workshop mit dem Regisseur Florian Fischer und dem Performer Jacob Kovner. Im Hole of Fame wurden alle gesammelten und erarbeiteten Teilstücke zum Themenkomplex Macht und Menschenrechte als Video-Foto-Text-Installation aufgebaut. Als Zusammenfassung der vielen Enden konnten die Besucher:innen ein 32-minütiges interaktives Audio-Feature von Lukas Pohlmann während eines Spaziergangs erleben. Nichts entbindet sie ihrer Verantwortung. Die Bindung zu ihrer Verantwortung lässt sich nicht einfach lösen wie die Bindung zu einem Ski oder einem unbefriedigten Sexualpartner. Sie werden ihrer Verantwortung verbunden bleiben, komme was wolle. (Auszug: Und vergib uns unsere Ohnmacht, Audio-drama-walk, 2021) 

Ausblick, letzter Teil der Trilogie
MACHT#3 – Hoffnung  

Die Pandemie dauert noch immer an und the guts company denkt perspektivisch über Auswirkungen und Folgen der Pandemie nach. Was bleiben wird, sind die gesellschaftlichen Konfliktlinien, die in den vergangenen Monaten erstarkt sind, als lägen sie unter einem viralen Brennglas. Risse sind tiefer, Rhetoriken der Ablehnung gewaltvoller, empathische Begegnungen schwieriger geworden. Viel Widerstand allerorten! Es scheint leichter denn je, sich mit einem „Dagegen“ als einem „Dafür“ zu verbinden. Oder täuscht die Beobachtung? Birgt Widerstand auch Utopien? Welche Hoffnungen können entfacht werden? Hoffnung ist das Schlagwort für die kommende Produktion MACHT#3. Es wird persönlicher, fast intim. Wir proben die innere Emigration. Wir graben nach unseren ganz persönlichen Hoffnungen und stellen unsere Blicke, Gedanken, unsere Wehmut, unsere Angst und Freude zur Disposition. Was hilft, um hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken? Was tragen wir dazu bei? 

03./04.06.2022 
Premiere 
MACHT#3–Hoffnung 
the guts company/Johanna Roggan  

Koproduktion HELLERAU–Europäisches Zentrum der Künste und Forum Gestaltung Magdeburg. Gefördert von Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Kulturstiftung des Freistaates Sachsen*, Landeshauptstadt Dresden/Amt für Kultur und Denkmalschutz, Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank. Unterstützt durch DIEHL+RITTER/TANZPAKT RECONNECT, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen der Initiative NEUSTART KULTUR.  
* Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.