#Throwback – HELLERAU Jahresrückblick

Ein sehr bewegtes und intensives Jahr 2024 geht zu Ende und es ist zu erwarten, dass uns auch das Jahr 2025 vor große Herausforderungen stellt. Aber vielleicht ist es gut, einmal nicht auf die Negativbilanz der Krisen und Konflikte, Kriege und Umweltkatastrophen zu schauen, sondern auf die Momente von Hoffnung, auf positive Entwicklungen, auf Versöhnung im Kleinen wie im Großen. Und was können wir im täglichen Miteinander für Momente des Aufatmens und der Verständigung tun?

Kunst und Kultur können gesellschaftliche Probleme nicht richten, aber sie können als Beispiel dienen, wie durch andere Sprachen, Bilder und Töne neue Perspektiven auf verschiedene Wirklichkeiten möglich werden und Begegnungsformen probeweise neu entstehen. Das klingt bescheidener als es ist. Kunst und Kultur sollten noch immer so etwas wie einen utopischen Überschuss beinhalten, die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Zukunftsszenarien ebenso wie eine akribische Aufarbeitung vergangener Geschichten und Traditionen. Gerade die unendlich facettenreichen Formen der Künste und die vielen kulturellen Begegnungsformen können jede*n Einzelne*n von uns stärken und machen den Reichtum unserer Gesellschaft aus.

Wenn ich nun auf das Jahr 2024 in HELLERAU zurückblicke, sehe ich die vielen künstlerischen Projekte von Companies und Künstler*innen aus nah und fern und ich spüre noch einmal die Reaktionen des Publikums im Großen Saal des Festspielhauses, ich erinnere die Gespräche nach den Vorstellungen, sehe die Workshops im Kulturgarten und so vieles mehr.

Zu Beginn des Jahres hat die Gruppe fachbetrieb rita grechen für ihre Auseinandersetzung mit der komplexen Geschichte des Rügener Seeortes Prora das Festspielhaus samt Tribüne mit einem musikalischen Epos bespielt. Dina Zaitev und Michael McCrae haben sich mit dem Publikum auf engstem Raum feinfädig auf Spurensuche ihrer konträren Familien- und Erinnerungsgeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus begeben. Ebenso hallt der Klang des Jewish Chamber Orchestra und der Stimme von Jelena Kulic und ihrer Erzählung über den fast vergessenen Komponisten Józef Koffler nach. HELLERAU hat mit dem Schwerpunkt SCHICHTEN begonnen, sich mit seiner eigenen Geschichte auf dem Areal auseinanderzusetzen. Eine Publikation von Robert Badura zur Geschichte des Festspielhauses und des umgebenden Areals in der Zeit des Nationalsozialismus ist in Kooperation mit dem Sächsischen Institut für Geschichte und Volkskunde in Arbeit. Im Herbst war der 35-jährige Mauerfall Thema eines Programmwochenendes mit dem Stück „Mauern“ der Performancegruppe She She Pop, der performativen Lesung „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ von Anett Gröschner, Peggy Mädler und Wenke Seemann sowie einem Panel in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Rolle der Theater in Ost und West.

Thematisch lässt sich hier gut anknüpfen mit unserem Festival „Nebenan“, das sich in seiner dritten Ausgabe der unabhängigen Kunstszene Ungarns widmete. In Kooperation mit ungarischen Partner*innen präsentierte HELLERAU eine junge, lebendige unabhängige Szene und lud zu Gesprächen über die derzeit schwierige gesellschaftliche und kulturelle Situation mit ungarischen Spezialist*innen ein. Mit ihrer neuesten Arbeit „Playing on Nerves“ setzte die moldauische Autorin und Regisseurin Nicoleta Esinencu ihre kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart aus der Perspektive des Ostens eindrucksvoll fort.

Der Bereich Musik war auch in diesem Jahr wieder mit einer großen Bandbreite an zeitgenössischen Formen und Akteur*innen vertreten: Das Spektrum reicht von dem Sonderkonzert G.F. Haas und Dresdner Staatskappelle über Ensemble Modern, Ryoji Ikeda und Chaya Czernowin bis hin zu den Reihen Feature Ring und Dienstagssalon, den Kooperationen mit den Dresdner Musikfestspielen und dem Lyrikpreis Dresden. Darüber hinaus widmet sich HELLERAU insbesondere dem neuen Fokus Immersive Sounds, der aktuelle und innovative Entwicklungen im Bereich neuer Konzertformate präsentiert, diskutiert und aktiv mitgestaltet. Im November übernahm ZIMMT (Zentrum für Immersive Medienkunst, Musik und Technologie) die besondere technische Konzeption, Einrichtung und Ausstattung des komplexen Mehrkanal-Audio-Systems für ein innovatives Installations-, Konzert- und Diskussionsformat.

Bereits kurz zuvor befasste sich die HYBRID Biennale 2024 mit dem Wandel der Künste im digitalen Zeitalter und zeigte herausragende künstlerische Projekte wie die Robotersinfonie der Dresdner Sinfoniker, die Performance „New Illusion“ des japanischen Regisseurs Toshiki Okada oder auch die eingängige Raum-Soundperformance des Duos Nonotak. Flankiert wurden die künstlerischen Projekte von einem intensiven Fachsymposium, das sich gezielt mit der Neu- und Weiterentwicklung von Raumkonzepten für Museen, Theater oder Opern beschäftigte.

Über das ganze Jahr verteilt war HELLERAU wieder enger Partner für viele Produktionen von Dresdner Gruppen und Künstler*innen, ebenso vom Jugendjazzorchester Sachsen und TanzART Kirschau, vom PORTRAITS Hellerau Photography Award, vom Fast Forward Festival des Staatsschauspiel Dresden und vieles mehr.

Im Rahmen des ganzjährigen Residenzprogramms begegneten sich viele internationale Künstler*innen aus aller Welt, es entstand ein kreativer Arbeitskosmos, der sich mittlerweile in den Performing Arts und Musik herumgesprochen hat. 2024 war HELLERAU erneut Zentrum des zeitgenössischen Tanzes und präsentierte große internationale Choreograf*innen und Companies einem tanzbegeisterten Publikum.

Von Rosas mit der bewegenden Performance „Exit Above“ über das Cloud Gate Dance Theatre, Ballet de l’Opera de Lyon und Christos Papadopoulous, Amala Dianor bis hin zu Yasmeen Godder Company, Alice Ripoll, Wen Hui und Louise Lecavalier – die Vielfalt der Tanzsprachen und Korrespondenz mit unserer Zeit ist immer wieder aufs Neue ein Erlebnis. Mit dem neuen Schwerpunkt „Dance Together“ starteten wir mit der go plastic company in den Mai und probierten das gemeinsame Tanzen auch in Workshops und auf den Bühnen u.a. mit La Fleur und Eun-Me Ahn aus – mit rundum begeisterter Stimmung.

Begeistert haben auch unsere Vermittlungsformate für junges Publikum – das Festival Young Stage und das Netzwerk explore dance – Tanz für junges Publikum mit unseren Partnern in Potsdam, Hamburg und München. Besonders gefreut haben wir uns über die Ehrung im Rahmen des Deutschen Tanzpreises!

Und last but not least sei hier auch die Kooperation „Join“ mit der Dresden Frankfurt Dance Company unter der neuen künstlerischen Leitung von Ioannis Mandafounis im Rahmen des Programms ZERO der Kulturstiftung des Bundes erwähnt – ein langer Prozess gemeinsamer Arbeit mit der Frage „Wie können wir nachhaltig im Kulturbetrieb arbeiten und dennoch künstlerisch kreativ bleiben?“. Die Produktion „Join“ jedenfalls, in Dresden gemeinsam mit der Palucca Hochschule für Tanz entstanden, hat bereits mehrere internationale Einladungen erhalten.

Der Rückblick kann nur ein Ausschnitt unserer Arbeit und der vielen Begegnungen sein.

Mein Dank gilt an dieser Stelle ausdrücklich allen, die HELLERAU als Ort und mit diesem Programm möglich machen und unterstützen: unsere Rechtsträgerin, die Landeshauptstadt Dresden, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien für das Bündnis der internationalen Produktionshäuser, die Kulturstiftung des Bundes für das Symposium „Black Box White Cube XR“, der Freistaat Sachsen für explore dance, die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, das nationale performance netz, die Europäische Union für Moving Identities, die Bundeszentrale für politische Bildung für das Festival „Nebenan/Mellettünk – Unabhängige Kunst aus Ungarn“, der Fonds Darstellende Künste, das Goethe-Institut Deutschland und viele mehr. Hinzu kommen die vielen Partner, mit denen HELLERAU zusammenarbeitet und natürlich die Künstler*innen und Kulturakteur*innen.

Ohne die finanzielle Aufstellung der Institution, die Unterstützung und Förderung sowie die partnerschaftliche Zusammenarbeit wäre das HELLERAU-Programm in dieser Bandbreite nicht möglich. Für HELLERAU wünsche ich mir für das Jahr 2025, dass uns dieses internationale Haus in seiner Vielfalt erhalten bleibt – für Dresden, für Sachsen und für unsere vielen Partner weltweit.

Wir freuen uns auf den Jahresstart mit Ihnen im Festspielhaus. Der Januar bietet mit der Performance-Reihe „Letters Home“, dem Konzert „Happy New Ear“ und mit dem Tanzstück „Contre-nature“ einen abwechslungsreichen Einstieg ins neue Jahr.

Ein friedliches und gesundes Jahr 2025 uns allen!

Carena Schlewitt und das HELLERAU-Team

Im Titelbild

Oberste Reihe (v.l.n.r.):

  • Cloud Gate Dance Theatre – Sounding Light, Foto: Klaus Gigga
  • Amala Dianor – DUB, Foto: Pierre Gondard
  • Yasmeen Godder Company & Dikla – Shout Aloud, Foto: Birgit Hupfeld
  • #yodo – Open Studio (im Rahmen von Moving Identities), Foto: Stephan Floss

Mittlere Reihe (v.l.n.r.):

  • Ryoji Ikeda & Les Percussions de Strasbourg – 100 Cymbals, Foto: Henri Vogt
  • Louise Lecavalier – danses vagabondes, Foto: Klaus Gigga
  • NONOTAK – SHIRO, Foto: Tony Trichanh
  • Annett Gröschner, Peggy Mädler & Wenke Seemann – Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich & gründen den idealen Staat, Foto: Stephan Floss

Untere Reihe (v.l.n.r.):

  • Tanz in den Mai (im Rahmen von Dance Together), Foto: Anja Schneider
  • SUB.LAB.PRO/Jenna Jalonen – RING (im Rahmen von Nebenan/Mellettünk), Foto: Daniel Domolky
  • Caroline Beach & Saida Makhmudzade – Was geht, Erdling, Foto: Stephan Floss
  • Panel: Welche Rolle haben Theater heute?, Foto: Klaus Gigga

Im Text

  • McCrae, Zaitev, Schönijahn & Piroschik – THE GREAT GRAND OTHER, Foto: Klaus Gigga
  • fachbetrieb rita frechen – Self Care Strandbefehl, Foto: Julius-Zimmermann
  • Réka Oberfrank – Miracle (im Rahmen von Nebenan/Mellettünk), Foto: Gergely Ofner
  • Dresdner Sinfoniker – ROBOTERSINFONIE (im Rahmen der HYBRID Biennale), Foto: David Sünderhauf
  • ROSAS – Exit above, Foto: Anne van Aerschot
  • go plastic company – Fight for your fairytale (im Rahmen von explore dance), Foto: Stephan Floss
  • Ioannis Mandafounis, Tänzer*innen der DFDC und der Palucca Hochschule für Tanz Dresden – Join, Foto: Stephan Floss