Foto: Lothar Sprenger

HELLERAU und das Welterbe – Von Anette Hellmuth, Förderverein Weltkulturerbe Hellerau e.V.,#2-2022

Ob „Eden“ in Berlin-Oranienburg oder „Monte Verità“, der Wahrheitsberg, im Schweizer Tessin – die Namen der um 1900 entstandenen Reformsiedlungen künden häufig von der Sehnsucht  ihrer  Erbauer:innen.  Es  ging  um  Licht,  Luft,  Freiheit,  Wahrheit, Glück, Freundschaft, es ging um jene Kernbegriffe, die Utopien auch heute noch verlockend machen können. Die Reformsiedlungen des beginnenden 20. Jahrhunderts waren in der Regel Synonyme für das Streben nach einem besseren Leben.

In Hellerau bei Dresden war es nicht anders. Der ursprünlich geplante Name „Neuklotzsche“ wich noch vor der offiziellen Taufe dem Namen Hellerau, der in seinem Versprechen von  lichten  Auen  viel  eher  dem  zeitgeistigen,  reformorientierten  Zukunftsoptimismus  entsprach.  Waren  es  auf  dem  Monte Verità in der Schweiz die avantgardistisch orientierten Aussteiger:innen,  trafen  sich  im  Hellerauer  Reformprojekt  bürgerliche Neudenker:innen wie der Deutsche Werkstätten-Gründer Karl Schmidt und Wolf Dohrn, beide Mitbegründer des Deutschen Werkbundes. Sie verwirklichten hier von 1908 bis 1914 ein einzigartiges Lebensreformprojekt und griffen dabei auf Reformansätze der vorhergehenden Jahrzehnte zurück.  In  Hellerau  verbanden  sie  die  Gartenstadtidee  mit  fortschrittlichem  Unternehmertum,  Gesellschaftsutopien,  Architekturmoderne, Reformpädagogik, Kunst- und Kulturreform. Es ging den Gründer:innen und Ideengeber:innen des Ortes um eine Lebensumwelt, in der Technik und Fortschritt nicht allein den Takt der Gesellschaft bestimmen sollten.

Die Bedeutung Helleraus als Zentrum und Kondensationspunkt der Lebensreformbewegung ist nicht nur in der Rückschau erkennbar, sie ist noch immer an fast allen materiellen Zeugnissen der Gründungszeit ablesbar. Kein anderer aktuell existierender Reformort des beginnenden 20. Jahrhunderts verfügt über eine ähnliche Vielzahl unveränderter Gebäude und Siedlungsstrukturen. Der so genannte OUV (Outstanding Universal Value) adelt eine Natur- oder Kulturstätte und ermächtigt zur Aufnahme in die Liste des Welt- und Naturerbes. Hellerau verfügt durch seine Einzigartigkeit und seinen Erhaltungszustand über diesen Wert.

Davon  ausgehend  machten  sich  2011  Hellerauer  Bürger:innen  und  Institutionen  auf  den  Weg,  um  sich  mit  dem  Lebensreformprojekt Hellerau um den Weltkulturerbetitel zu bewerben. Ein solches bürgerschaftliches Engagement ist  in  Deutschland  sehr  selten  –    aber  deshalb  nicht  weniger  wirksam. Die Beteiligten holten die Expert:innen des Institute for  Heritage  Management  aus  Cottbus  mit  ins  Boot,  beauftragten Studien und organisierten Kolloquien. Im Verlauf der Zeit wurde die Partnerschaft mit der Stadt Dresden und dem Freistaat Sachsen immer enger. Die Kommune bekannte sich durch einen einstimmigen Stadtratsbeschluss im April 2019 zu dem Vorhaben, der Freistaat wählte Hellerau zu einem Kandidaten für die bundesdeutsche Bewerbungsliste (Tentativliste).Der zwischenzeitlich gegründete Förderverein Weltkulturerbe Hellerau wandte viel Kraft und finanzielle Mittel für das Vorhaben auf. So haben die Mitwirkenden ein wissenschaftlich untermauertes Bewerbungsdokument vorbereitet, in dem an der Struktur und Architektur Helleraus seine Reforminhalte  durchdekliniert  werden.  Die  „große  Zeit“  Helleraus,  die  Jahre 1908 bis 1914, stehen im Zentrum der Darlegungen. An zentraler  Stelle  finden  sich  das  Festspielhaus,  das  heutige  Europäische Zentrum der Künste, das historische Unternehmensensemble der Deutschen Werkstätten, die Kleinhaus- und Villenbereiche, die öffentlichen Flächen, das Straßen- und Wegenetz inklusive der Plätze und Wege und vieles mehr. Besonders bedeutend ist die sehr theorienahe Umsetzung der Gartenstadtidee nach Ebenezer Howard, die ab 1903 erstmals in Letchworth/England verwirklicht wurde.

Ende  2021  hat  der  Freistaat  Sachsen  die  Hellerauer  Bewerbung an die Kultusministerkonferenz weitergegeben. Im April 2022 besuchte dann ein Fachbeirat Hellerau und prüfte die Schilderungen des Bewerbungsdokuments bei einem ausführlichen Rundgang durch den Ort. Die Expert:innen finalisieren noch in diesem Jahr ein entsprechendes Gutachten, das dann die Grundlage für die endgültige Entscheidung auf Bundesebene bildet. Fällt es positiv aus, kommt Hellerau auf die Tentativliste. Ein Jahr später könnte es sich auf internationaler  Ebene,  bei  der  UNESCO,  bewerben.  Am  Ende  des  Prozesses  steht  die  Eintragung  in  die  Liste  der  Natur-  und  Kulturerbestätten der Welt.

Das Ziel aller Anstrengungen ist also die Eintragung in eine Liste?  Verkürzt  gesagt:  Ja.  Das  hört  sich  nicht  spektakulär  an. Aber die Liste, um die es geht, ist etwas Besonderes. Sie steht für das weltweite, gemeinsame Bemühen, das kulturelle Gedächtnis der Menschheit auch für folgende Generationen zu bewahren. 

Hellerau sollte Teil dieser Liste sein, weil es so, wie wir es heute noch vorfinden, für die Sehnsucht der Menschheit nach einem besseren, solidarischen, ganzheitlichen Leben steht. Hellerau hat den Welterbetitel verdient, weil es ein einzigartiges Beispiel dafür ist, dass gemeinsames Handeln und mutige Avantgarde gesellschaftliche Veränderung möglich machen

09.09. –  22.10.2022

Hellerau. Ort der  Moderne

Ausstellung im Zentrum für  Baukultur  Dresden

08.09.2022, 19:00 Uhr

Ausstellungseröffnung

Öffnungszeiten:  Di – Sa  13:00 – 18:00 Uhr (an Feiertagen geschlossen)Adresse: Kulturpalast Dresden, Eingang über Galeriestr., Schloßstraße 2, 01067 Dresden T 0351 48453600, www.zfbk.de