Victoria Lomasko – Wandmalerei 2019/20

Das Lachen zerstört die Angst | Interview mit Victoria Lomasko (RU) 

Die Künstlerin Victoria Lomasko war vor einem Jahr als Artist in Residence Gast des Festivals „Karussell – zeitgenössische Perspektiven russischer Kunst“ in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste. Im Januar 2020 ahnte kaum jemand, dass das folgende Jahr so bewegt werden würde: die Pandemie, die Proteste gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl in Belarus, der Giftanschlag auf Alexej Navalny, seine Genesung in Deutschland und die sofortige Verhaftung nach seiner Rückkehr nach Russland. Johannes Kirsten, Kurator von Karussell, sprach mit Victoria Lomasko, anlässlich ihres bis zum Sommer regelmäßig erscheinenden gezeichneten Tagebuchs, über das vergangene Jahr und die aktuellen Ereignisse. Das Gespräch fand kurz nach der Gerichtsverhandlung gegen Navalny und die zahlreichen Proteste infolge seiner Verhaftung statt. Die Eindrücke der hart gegen mehrheitlich jungen Demonstrant:innen vorgehenden Staatsmacht sind noch frisch. 
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Artist in Resident

Disziplin/Genre: Wandmalerei 

Projekt in HELLERAU: Erster Akt Dieses Werk wurde für ein Theaterfestival konzipiert – ich wollte einen kleinen Raum in eine Bühne verwandeln, auf der Ruinen die Vorhänge ersetzen und geheimnisvolle Figuren in den Zwischenräumen auftauchen, in denen eigentlich die Fenster waren. Zwischen den Plattenbauten – Schauplatz der jüngsten, wegweisenden Videos des russischen Rappers Husky und der Kunst-Punk-Gruppe Shortparis – wachsen statt Blüten wilde Blumen mit androgynen Bildern von Majakovsky, Khlebnikov und Kharms. Musik, Poesie – die neuen 20er Jahre. Feministinnen betreten den öffentlichen Raum mit poetischen Slogans, und in den U-Bahn-Wagen beginnen die für das experimentelle Theater typischen improvisierten Dialoge. Aktionismus, Protest, Gender. Währenddessen sind halluzinogene Szenen aus Werken von Viktor Pelevin im Gange, mit ihren Showdowns zwischen Angeklagten, Anwälten und Staatsanwälten im Inneren, auf der Suche nach einer vierten Partei, die über jeder Situation stehen würde. Literatur, Theater, Mystik. Die heruntergekommenen Bühnenbilder, die von den russischen Behörden gebaut wurden, sollten offensichtlich zu einem weiteren „eisernen Vorhang“ werden, aber diese Ruinen sind der Berliner Mauer nicht gewachsen. Langweilig und erniedrigend sind die Versuche sowjetischer Charaktere, ihre sowjetischen Bühnenbilder in den 20er Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu rekonstruieren. Es ist interessant, durch die vielen Tränen und Risse zu blicken, um das neue Leben, das dort beginnt, zu sehen.

Was inspiriert dich? Mexikanische Wandmaler:innen der 20er Jahre, russische Poesie, Videoclips von Haski und Shortparis, künstlerische Aktionen in öffentlichen Räumen, Frechheit. 

Deine ersten drei Gedanken zu HELLERAU? Mir gefällt es, dass sich das HELLERAU-Ensemble am Stadtrand Dresdens befindet und mich nichts von der Arbeit an der Grafischen Reportage ablenkt. Jeden Tag verlasse ich das Gästehaus, überquere den Hof und trete in das Schloss der Kunst mit den Yin-und-Yang- Zeichen auf der Fassade ein. Wie im Traum. Mir gefällt es, dass die Organisator:innen in HELLERAU einen Drang zu komischen, geheimnisvollen Sachen besitzen, welche nicht eindeutig interpretierbar sind. Hier liegen die Akzente nicht auf der Herstellung nützlicher politischer Aussagen, sondern auf der Schaffung interessanter Kunstwerke, und das unterstütze ich vollkommen. Mir gefällt es, dass ich in Dresden auf dem Karussell-Festival Aufführungen gesehen habe, zu welchen ich es in Russland nie geschafft hätte. Ich spüre, dass das Eintauchen in die Theaterkunst eine deutliche Auswirkung auf meine neue Arbeiten haben wird. 

Wie würdest du deine Arbeitsweise beschreiben? Zuerst wird das allgemeine Gesicht geboren. Dieses Fresko ist die erste Struktur, an der ich mich orientiere, Ruinen, in denen wilde Blumen und seltsame Wesen wachsen. Dann werden die Verfeinerungen gemacht: zum Beispiel erscheint eine Blume, die statt Knospen moderne Dichter-Musiker trägt; ein U-Bahn-Wagen erscheint, der statt Mauern den Sternenhimmel trägt, und so weiter. Die Arbeit an den Skizzen ist die anstrengendste und intensivste und das Zeichnen der Fresken ist eher entspannend, ich erschöpfe mich körperlich mehr. Ich höre meine Lieblingsmusik, falle in Trance, male an die Wände und plötzlich bin ich in einer Welt, die ich selbst gemalt habe.  

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