1898 veröffentlichte Heinrich York-Steiner die Geschichte von Mendele, einem „armen jüdischen Musikanten, der seinen Lebensunterhalt mit Hochzeitsauftritten verdient“ und sich einen Traum erfüllt, als er sich von seinem mühsam Ersparten einen Besuch im kaiserlichen Hoftheater in Wien leistet. Dort hört er zufällig und ohne jedes Vorwissen Wagners Lohengrin: „Die Oper verändert sein Leben. Zurück in seinem Shtetl möchte er zu jüdischen Festen nicht mehr die traditionellen Melodien, sondern nur noch Wagners Melodien spielen … “.

Die Geschichte Mendeles verweist auf ein Spannungsfeld, das seit dem 19. Jahrhundert virulent ist: die tiefe Faszination, die von Wagners Musik ausgeht, und zugleich die schwerwiegende Problematik seines offen artikulierten Antisemitismus. Wagners Schriften – allen voran „Das Judenthum in der Musik“ – formulieren eine Ideologie, die das Judentum kulturell abwertet und in späteren politischen Kontexten fatal nachwirkte. Umso komplexer erscheint der Umstand, dass gerade jüdische Musiker*innen, Schriftsteller*innen und Intellektuelle immer wieder eine besondere ästhetische Anziehungskraft in Wagners Werk empfanden.

2025 hat das Jewish Chamber Orchestra Munich, das in der Spielzeit 2025/26 „Orchestra in Residence“ der Münchner Kammerspiele ist, unter der Leitung von Daniel Grossmann die Geschichte von Mendele als Auftragswerk des 1977 in der Ukraine geborenen Komponisten Evgeni Orkin mit Musik zwischen Klezmer und Wagner mit großem Erfolg auf die Bühne gebracht. In einer von Martin Valdés-Stauber eingerichteten Fassung erzählt Stefan Merki die Geschichte, singt Ethel Merhaut jiddische Lieder oder auch einen neuen Text auf die Ballade der Senta. Den Fragen, die Mendele bewegten, müssen auch wir uns stellen: „Was hat die Musik mit die Juden zu thun oder mit die Christen? […] Is Musik koscher? Is eine Melodie trefe? Muss man denn Noten einsalzen und auswaschen? Muss man eine Fidel schachten?“ Sexisten, Rassisten, Antisemiten: Wie erleben wir heute Kunst, deren Erschaffer politische oder gesellschaftliche Ansichten hatten, die wir nicht teilen?

Evgeni Orkin (*1977): Mendele Lohengrin (2025)
Ein Klezmer-Singspiel, Auftragskomposition des JCOM
Nach der gleichnamigen Erzählung von Heinrich York-Steiner (1898)

Biografie

Das Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM), 2005 von Daniel Grossmann gegründet, versteht sich als zeitgenössische jüdische Stimme und ist weltweit auf renommierten Bühnen präsent. Mit vielfältigen Formaten macht es jüdische Gegenwartskultur hör- und sichtbar und wirkt als Botschafter jüdischer Kultur. Die Musiker*innen kommen aus über zwanzig Ländern und unterschiedlichen religiösen Hintergründen. Künstlerisch pflegt das JCOM jüdische Musiktraditionen von Barock bis Gegenwart, hebt vergessene jüdische Komponist*innen hervor und belebt historische Orte jüdischen Lebens. Es vergibt Kompositionsaufträge, kooperiert mit international bekannten Solist*innen und Institutionen und ergänzt sein Profil durch vielfältige Education-Projekte.

Website

Kooperation

Im Rahmen von Tacheles – Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen 2026.