Neue Räume für die Kunst, #2 – 2021

Der Ostflügel am Festspielhaus wird wieder zum Leben erweckt 

Von Michael Ernst Hellerau ist Zukunft. So war die Gartenstadt schließlich mal angelegt: Harmonischer Lebensraum zur gesunden Entfaltung der Menschen im Einklang mit der Natur. Ein wichtiges Zentrum darin war und ist das 1911 errichtete Festspielhaus von Heinrich Tessenow. Hier flossen Bildung und Kultur zusammen, wurde kreative Entfaltung gefördert und eine Zeit lang geradezu gefeiert. Aus diesem Hort der Lebensreform entstand ein europäisches Zentrum der Künste, ein Treffpunkt namhafter Vertreter der damaligen Avantgarde. Bis – ja, bis das Ensemble entweiht und über Jahrzehnte hinweg geradezu missbraucht worden ist. Erst als Polizeischule der deutschen Nazis, dann als Kaserne der sowjetischen Armee. Was folgte, ist bekannt. Ein Dornröschenschlaf, der beizeiten von hellwachen Enthusiast:innen beendet worden ist, um die Potenziale dieses Areals nicht verkommen zu lassen. Doch es dauerte bis weit in die 1990er Jahre, ehe das auf der UNESCO-Liste schützenswerter Gebäude stehende Festspielhaus denkmalgerecht saniert werden konnte. Inzwischen hat sich das Publikum an den imposanten Anblick gewöhnt, wenn es über den großen Vorhof auf das 2004 gegründete Europäische Zentrum der Künste HELLERAU zuströmt. Ein klassischer Giebel und offene Türen im Zentrum, auf der linken Seite das hübsche Besucherzentrum und rechts – eine Ruine. Ein Schandfleck, in dessen marodem Mauerwerk jedoch ein Schatz verborgen ist, der nun endlich wieder gehoben werden soll. Carena Schlewitt, die Intendantin von HELLERAU, freut sich daher bereits auf den 11. Oktober: „Dann werden wir eine Art Grundsteinlegung begehen und der Umbau des Ostflügels beginnt endlich.“ 

Zukunftsmusik 

Der Ostflügel. Bislang diente das einstige Offizierskasino als Lagerraum, kurzzeitig auch mal für Performances sowie als Gestaltungsfläche für Street Art. In Zukunft sollen hier eine Studiobühne sowie ein Probestudio entstehen, zudem gibt es Pläne für eine erweiterte Gastronomie (die sowohl Publikum als auch Beschäftigten und Mitwirkenden zugutekommen soll) und für Residenzapartments für die am Festspielhaus tätigen Gäste. Die Landeshauptstadt Dresden und der Freistaat Sachsen haben eine langfristige Vereinbarung getroffen, um die ursprüngliche Ansicht des Gesamtensembles in transformierter Form wiederherzustellen. Mit der Umsetzung des Projekts befasst sich Jens Krauße, dessen Unternehmen Heinle, Wischer und Partner Freie Architekten bereits mustergültig den Campus der 84. Grundschule in Hellerau gestaltet hat. „Wir haben uns damals schon mit der Geschichte von Hellerau gründlich beschäftigt. Danach hat uns diese Ausschreibung natürlich ganz besonders gereizt.“ Der Dresdner Architekt war sofort Feuer und Flamme für dieses Projekt. „Ursprünglich waren das ja zwei einzelne Häuser. Dass die jetzt wieder der Kultur dienen sollen, ist uns höchst willkommen.“ Das Architekturbüro hat die Ausschreibung gewonnen und wollte unbedingt den räumlichen Durchbruch des Ostflügels wiederherstellen, ohne aber die Geschichte zurückzudrehen, begründet Jens Krauße den Planungsentwurf. Einst standen zwei separate Häuser an dieser Stelle, dazwischen gab es den Zugang zum Hof des Festspielgeländes. „Das jetzige Gebäude mit seinen zwei Etagen ist erst in den 1930er Jahren entstanden“, sagt Krauße, „wenn wir darin jetzt mit einem großen öffentlichen Foyer einen neuen Eingang schaffen, knüpfen wir damit an die früheren Ideen an.“ Geplant ist ein dachhoher Raum in der Mitte des langgestreckten Gebäudes, der sowohl als zusätzlicher Zugang gen Europäisches Zentrum als auch als Verbindungsweg von Gartenstadt zum Festspielhausareal dienen soll. Bedeutungsvoll ist der Blick bis unter den Giebel: „Die denkmalgeschützten Kroher-Binder wollten wir unbedingt sichtbar machen, dafür haben wir uns sogar eine Lichtdesignerin geleistet, um diese besondere Dachkonstruktion in Szene zu setzen“, beschreibt Jens Krauße die künftigen Ein- und Ausblicke. Damit werden geometrisch und grafisch imposante Gestaltungsmerkmale des Hauses erhalten, die einst in Zeiten des Holzmangels von Ludwig Kroher entwickelt worden sind. Derartige Brettbinder sind heutzutage kaum noch vorhanden, jedoch unbedingt erhaltenswert und sollen daher auch künftig sichtbar bleiben. 

„Wir bauen, bis das Haus nutzbar ist“ 

Im Zuge der Dachsanierung ist diese eindrucksvolle Konstruktion aufgearbeitet worden, lediglich statisch nicht mehr haltbare Teile wurden repariert. Dass der Ostflügel links und rechts in zwei nahezu identische Hälften gegliedert werden soll, geht auf eine Idee von Heinle, Wischer und Partner zurück, erklärt Jens Krauße. „Die vorliegenden Räume erschienen uns zu klein dimensioniert, deswegen haben wir den Vorschlag entwickelt, das Foyer quasi freizuschneiden.“ Eine transparente Brücke soll die beiden Teile des Baukörpers miteinander verbinden und den Mittelgang im Obergeschoss fortführen. Krauße fand für diesen Entwurf viel Zustimmung und lobt die intensive Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Ansprechpartner:innen. „Das war alles super kooperativ, ich bin sicher, wir bekommen damit für die vorhandenen finanziellen Mittel die beste Lösung hin. Gerade bei der Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege braucht es viel Abstimmung, denn es geht ja möglicherweise um ein künftiges Weltkulturerbe.“ Auch deswegen habe man sich entschlossen, lange vor Baubeginn vor Ort ein Muster im Maßstab eins zu eins anzubringen, um den künftigen Eindruck der Fassade den verantwortlichen Gremien vorzustellen. „Wenn man als Dresdner Büro die Chance hat, in Hellerau zu arbeiten, ist das ein Glücksfall“, freut sich Jens Krauße. „Wir bauen, bis das Haus nutzbar ist, das ist anstrengend, macht aber viel Spaß, denn alle sind von diesem Projekt euphorisiert – und mit der Intendantin ist hier ein Wind drin, der das gesamte Zentrum europäisch öffnet. Man spürt, die haben eine Vision! Wir schulden ihnen ein Werk.“ Immer wieder staunt der Architekt über die Modernität von Hellerau und über die historisch bedeutsamen Wege, die man damals beschritten hat. „Das waren damals gut durchdachte Entwürfe, darüber kann man nur staunen. Was seinerzeit in nur einem Jahr gebaut worden ist, schaffen wir heute mit all unseren 3D-Entwürfen und Vorfertigungen nicht. Das war schon sehr pragmatisch, da kann man nur lernen.“ 

Wiederherstellung der alten architektonischen Achse 

Ohne eine gründliche Abstimmung sowohl mit den künftigen Nutzern als auch mit diversen Ämtern könnte das avancierte Projekt natürlich nicht umgesetzt werden. Als eine Art Verbindungsglied fungiert da das Amt für Hochbau und Immobilienverwaltung der Landeshauptstadt Dresden, dessen Aufgaben Romy Eichler so umreißt: „Wir setzen uns mit allen öffentlichen Gebäuden der Stadt auseinander, gehen strategisch an die zu erarbeitende Aufgabenstellung heran und schauen uns die Objekte möglichst in ihrer Gesamtheit an. Das kann dann auch schon mal, wie hier in Hellerau, ein ganzes Areal sein. Wenn der Nutzer seinen Bedarf bei uns anmeldet, ermitteln wir die bauliche und finanzielle Machbarkeit. Beim Ostflügel als dem letzten ungenutzten und noch nicht hergerichteten Gebäude im Areal des Festspielhauses handelt es sich natürlich um ein herausragendes und vielschichtiges Projekt.“ Zwar sei nicht jedes öffentliche Gebäude denkmalgeschützt, aber wenn das der Fall ist, müssen sich die Institutionen mit der Denkmalpflege auf kommunaler und Landesebene intensiv abstimmen. Grundlage für die Vergabe des Bauauftrages des Ostflügels war ein sogenanntes VgV-Verfahren. Für dieses öffentliche Vergabeverfahren gab es mehrere Bewerbungen. Den Zuschlag hat das Dresdner Büro der Architekten Heinle, Wischer und Partner erhalten. Als Bauherrenvertreterin wolle sie die Idee hinter den Vorschlägen verstehen. Grundlage für die Planer sei ein Raumprogramm, für das jeweils konkrete Lösungen zu erarbeiten sind, die dann kostenmäßig untersetzt werden müssen. „Da steht also immer die Frage, ob das realistisch ist. Bei diesem herausragenden Bau war als Prämisse klar, dass die alte architektonische Achse wiederhergestellt werden soll. Aber dann wollten wir auch die Kreativität des Planers herauskitzeln und sehen, wie er etwa mit der künftigen Studiobühne umgehen wird.“ „Wir wollen mehr denn je ein Haus für die Künstler:innen und für das Publikum sein.“ 

Baustart als Meilenstein 

Inzwischen sei das Projekt final vom Dresdner Stadtrat unterstützt. Ein erster Schritt also ist gedeckt, ein großer Schritt, an dessen Ende eine voll nutzbare Studiobühne, ein Probestudio, ein Foyer, Residenzapartments sowie ein Restaurant stehen sollen. „Alles, was baulich nicht nachgerüstet werden muss, ist dann fertig“, sichert Romy Eichler zu, „also auch die Residenzräume, nur deren Ausstattung sowie die Bestuhlung und die Bühnentechnik noch nicht.“ Für diese Folgeschritte und auch für die Umgestaltung des Vorplatzes – Landschaftsarchitekt:innen schwelgen bereits in Tessenows Gedanken und denken an die einstigen Brunnen vorm Haus – steht aktuell noch kein Budget zur Verfügung. Der Wert des Ortes ist jedoch in den bewilligten fünf Millionen Euro aus dem Bund-Länder-Programm Städtebaulicher Denkmalschutz zuzüglich weiterer zwei Millionen Euro aus dem sogenannten PMO-Vermögen (von Parteien und Massenorganisationen der DDR) augenscheinlich, so Romy Eichler, für die der Baustart am 4. Oktober jetzt schon als „Meilensteintermin“ gilt. Im Dresdner Amt für Kultur und Denkmalschutz wird das nicht anderes gesehen, Amtsleiter Dr. David Klein begrüßt die Sanierung des Ostflügels: „Sie stellt zum einen das gesamte Gebäudeensemble in seiner heterogenen Geschichte wieder her und macht es erneut erlebbar, und zum anderen verbessert sie deutlich die Arbeitsbedingungen des Europäischen Zentrums der Künste HELLERAU. Über 15 Jahre nach Wiedereröffnung des Festspielhauses ist dies ein weiterer Meilenstein für dieses herausragende Kulturdenkmal. Für die Dresdner Kultur und insbesondere die Performing Arts steigen durch das geplante Residenzzentrum die Möglichkeiten, internationale Positionen in Dresden zu erleben, sich mit Künstler:innen aus aller Welt auseinanderzusetzen und gemeinsam zu arbeiten.“ David Klein sieht darin einen wesentlichen Beitrag zu den Zielen des Dresdner Kulturentwicklungsplanes: „International zu agieren, Exzellenz und Experiment zu fördern und Zeitgenossenschaft in den Künsten zu leben.“ Auch Markus Franke, Abteilungsleiter Kunst im Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, sieht im Bau große Perspektiven: „Die Maßnahmen sind ein Bekenntnis der Landeshauptstadt zu dem einflussreichen kulturellen Ort und zum Erhalt dieses einmaligen Bau-Ensembles, das eine steingewordene, fortschrittliche Idee ist.“ Als Mitglied im Vorstand der Kulturstiftung ist Markus Franke davon überzeugt, dass „die Bauarbeiten in der Nachbarschaft zu unserer Kulturstiftung ein gutes Zeichen für die Lebendigkeit von Hellerau sind, das auch Spielort der Dresden Frankfurt Dance Company ist, die wir als Freistaat Sachsen mit tragen.“ Mit der Umgestaltung des Ostflügels werde mehr Raum für das geschaffen, was Hellerau ausmache und was schon vor über 100 Jahren Sachsen bereichert habe: „Über den Tag und Tellerrand hinaus zu denken, die sozialen Fragen und die gesellschaftlichen Entwicklungen lokal wie global mit künstlerischen Mitteln zu reflektieren und sich mit der Welt außerhalb Sachsens zu vernetzen. Dafür braucht es eine Infrastruktur, die nun in Hellerau ausgebaut wird und damit dem so wirksamen wie erfolgreichen Europäischen Zentrum der Künste einen weiteren, wichtigen Impuls und Gestaltungsspielraum gibt. Das ist für die Kulturstadt Dresden genauso gewinnbringend wie es eine wichtige Landmarke im Profil des Kulturlandes Sachsen stärkt.“ Intendantin Carena Schlewitt freut sich, der Idee von HELLERAU als einem lebendigen Produktionshaus deutlich näher zu kommen und dem Spielbetrieb in Festspielhaus und Studiobühne neue Strukturen geben zu können: „Wir wollen mehr denn je ein Haus für die Künstler:innen und für das Publikum sein.“ HELLERAU hat viel Potenzial für die Zukunft.